Unicorn on a mission – Ironman 70.3 Jönköping/Sweden

Es gibt ja so viele schöne Triathlon-Destinationen auf dieser Welt: Spanien, Hawaii (nein, nicht die WM, zu der man ja ohnehin nie fahren wird. Es gibt dort auch eine Mitteldistanz für die Allgemeinheit.), Florida, Australien oder Gösselsdorf. Aber nein, ich musste nach Schweden. Warum eigentlich? Ich hatte ja für eine Weile in Schweden studiert und Eishockey gespielt, daaaaamals, als ich noch jung, faltenfrei und energiegeladen war. Seitdem bin ich Schweden-Fan und da es seit 2016 auch eine Mitteldistanz in Schweden gibt, war für mich klar: da muss ich hin.
Diese Idee stellte ich am Abend vor der Abreise jedoch mehr als nur ein Mal in Frage, als ich vor meinem zerlegten Bike und einem Bike-Koffer stand, der sich mit aller Kraft gegen das Schließen wehrte (er wollte wohl lieber nach Hawaii. Eindeutig.). Leider bin ich ja immer ehrlich und so gebe ich an dieser Stelle zu: die Vorfreude war ob des Stresses recht mäßig. Immerhin war es meine erste Reise mit Bike … ins Ungewisse … alleine. Die Wahrscheinlichkeit, dass beim Verlassen des Flugzeugs in Göteborg gleich ein Thor-ähnlicher Jüngling freudestrahlend um die Ecke kommt und mich supportet, war gering, dafür kenne ich das Land und seine Menschen einfach schon zu gut. Gefreut hätte es mich aber natürlich schon (Spoiler: did not happen).
Vom schönen Klagenfurt ging es nun also über Wien und München nach Göteborg und die Gedanken kreisten stets um das Lebensgefährt, das traurig und zerlegt im Bike-Koffer über den Wolken schwebte. Normalerweise schläft es ja bei mir im Schlafzimmer (nicht im Bett, sondern daneben! Was die Leute schon wieder denken …) und jetzt wusste ich nicht mal, ob es überhaupt ankommen würde und wenn ja, auch im fahrtauglichen Zustand. Ich war zumindest bereit bei einem eventuellen Verkacken den Verantwortlichen in bester Eishockeymanier zu vermöbeln. Es ging hier immerhin ums Lebensgefährt, da kenne ich keinen Spaß.


Es kam an. Und ich auch (was aber nebensächlich war). Mit dem Mietwagen und laut zu jedem bekannten Lied im Radio singend (das Rad wünschte sich an dieser Stelle sicherlich wieder in den Frachtraum des Flugzeugs zurück) ging es weiter nach Jönköping, wo die nächsten Tage bis zum Rennen recht vollgepackt waren:
– Lebensgefährt wieder zusammenbauen (Alles war gut, nix kaputt! Yeah! „Wieder zusammenbauen …“. Fällt hier außer mir noch jemandem sofort der Film „Nummer 5 lebt“ ein?)
– Essen – Essen – Essen
– Die Expo finden und sich registrieren. Am Weg dorthin einen Team Leader der Ironman-Organisation treffen, der einen einfach mal mit einer High Five und „Welcome to Ironman Jönköping!“ begrüßte. Ich musste aufgrund des Outfits wohl wie ein Athlet ausgesehen haben. Kraaaass.


– Essen – Essen – Essen
– Eine kleine Runde mit dem Lebensgefährt drehen, um zu kontrollieren, ob denn alles funktioniert. Immerhin hatte es Blondie zusammengeschraubt, da musste eine Kontrolle her. Die Radstrecke selbst fand ich natürlich nicht (bemühte mich aber auch nicht sonderlich), daher kurvte ich einfach ein Stück am Vättern entlang. Ride with a vieeeew!


– Racebriefing mit Paul Kaye (yeeey, endlich ein bekanntes Gesicht!) im Saal des städtischen Kulturhauses. In Schweden hat man eben Style, es war wirklich elegant!


Andere Athleten gingen dann nochmal schwimmen oder testeten die Radstrecke, ich ging Nagellack einkaufen. So hat eben jeder seine eigene Rennvorbereitung. Ich fand es auch nicht so leicht, die passende Farbe zu finden, was so gesehen auch wieder fast Sport war … Style-Sport eben. Leider blieb es aber nicht beim Nagellack, ich musste dann auch noch in die umliegenden Geschäfte, nur ein wenig schauen, was hier modisch so abgeht. Ja was soll’s, wenn ich schon mal da war. Prepare like a Pro!
Irgendwann musste es aber wieder ernst werden, der Bike-Check-In stand an. Generell zeigte sich das Wetter ja fast immer von der guten Seite (sonnig, warm), ich war als Teilnehmer des Ironman 70.3 St.Pölten schon beinahe enttäuscht und irritiert. Am Samstag gab es aber immer wieder Regengüsse und ich wartete im Hotel taktisch klug ein Sonnenfenster ab. Zumindest dachte ich, dass es taktisch klug war, denn rund 15 Meter vor dem Eingang in die Wechselzone setzte dann sintflutartiger Regen ein. Klar, was auch sonst. Hagel wäre noch nett gewesen, den hatte ich bisher noch nicht im Rennportfolio. Gemeinsam mit zwei deutschen Athleten wartete ich unter einem Dachvorsprung auf das Abklingen der Sturzbäche. Wir kamen beim netten Gespräch zum Schluss „Tolles Wetter – aber lieber heute als morgen!“. In der Wechselzone durfte das Lebensgefährt dann wieder im Sonnenschein einparken.

Ich hatte auch selten so viele nette Volunteers erlebt wie hier (pro Athlet gefühlt ca. drei euphorische Volunteers), die einem bei allem helfen wollten (hätte ich da mal einen für die Nagellack-Entscheidung zuvor ausgeborgt!).
Wie es für mich zur Tradition gehörte, lief ich mich am Nachmittag vor dem Rennen ein wenig ein, ein bisschen in Renntempo, ein bisschen nach Bock. Meine Uhr tat mir dann einen guten Dienst: nach zwei Kilometern zeigte sie mir ein neues Performance-Plus geschmückt mit dem Kommentar „Excellent“ an. Danke Uhr! So war ich beruhigt und fühlte mich Race-ready. Ich hatte in der Tat schon mal den Fall, dass sie mir vor einem Rennen beim Performance-Level „Very poor“ anzeigte. Wäre dies hier auch der Fall gewesen, hätte ich mich wohl depressiv in den Munksjön gestürzt. Der gute Munksjön war aus Sicht des Schwimmers irgendwie nicht so der hübscheste Badeteich unter der Sonne, er hatte ob der imposanten Brücke und seiner Form eher „Kanal-Schick“.


Racedaaaaay!
Ungewohnt spät ging es los, ich durfte bis 6 Uhr schlafen und dann massiv professionell mein Müsli mit einem Löffel essen! Ich hatte diesmal vorgesorgt, der Fehler aus St.Pölten (tolles Müsli, aber kein Löffel, eine Ode an die Zahnbürste) sollte sich nicht wiederholen. Race breakfast like a pro!


In der Wechselzone checkte ich nochmal alle Bags und weckte das Lebensgefährt auf, dann ging ich mich einschwimmen. Ja, richtig gelesen, ich ging mich einschwimmen. Und mein Gott, war das kalt. Und nicht schön. Der Kälteschmerz an Stirn und Füßen war noch schlimmer als in Rapperswil 2016, damals hatte der See knackige 14 Grad. Und das Wasser war irgendwie gelblich-schwarz. Meine Hand konnte ich in der Unterwasser-Phase zumindest kaum sehen. Generell überlegte ich mir, ob ich mich vielleicht doch in der Gruppe 50+ Minuten anstellen sollte. Irgendwie wusste ich schon, dass es im Wasser großartig werden würde.


Auf den Rolling Start durfte ich in der Sonne warten (da wurde es sogar wieder warm) und ich muss sagen, dass ich noch nie so einen perfekt organisierten Schwimmstart erlebt hatte: alle paar Meter vor dem Start Eimer mit Wasser, um die Brille nochmal zu benetzen, kein Gedränge, genaues Einhalten der Zeiten. Ich bin zwar weiterhin kein Fan des Rolling Start, ich präferiere hier als Kampfsau definitiv das Getümmel, aber die Organisation war Weltklasse und platsch, war ich schon im Wasser. Auf den ersten 500 Metern fühlte ich mich gut und hatte Bock (ja, es gab alle 500 Meter eine große 500m-Markierung im Wasser). Dieser Bock lief resp. schwamm dann irgendwie davon und ich merkte, dass ich nicht nur schlampig, sondern auch langsam schwamm. Eh toll. Super gemacht. Die Tussi würde es echt nie lernen. Ich war wohl auch der einzige Athlet, der es schaffte, am Rückweg zum Schwimmausstieg beinahe in den 2.5 Meter breiten Brückenpfeiler zu schwimmen. War ja auch so dezent und kaum zu sehen … what a fail. Wenn ich nicht gerade versucht hätte, die letzten blöden 400 Meter drüber zu bringen, hätte ich mir für diese Aktion selbst eine Facepalm gegönnt. Dass ich schlecht schwimme, ist ja mittlerweile allseits bekannt, dass Orientierung und Sehvermögen jetzt aber auch schon flöten gehen, war neu.
Endlich durfte ich raus aus dem Tümpel und nahm den 500 Meter langen Teppich in Angriff. Ja, es war definitiv eine der längeren Anreisen in die Wechselzone, aber gesäumt mit unfassbar vielen Menschen, die super Stimmung machten. Somit machte es schon wieder Spaß!
Das Lebensgefährt wartete schon top motiviert auf mich, leicht zu finden war es auch, denn so viele Räder befanden sich nicht mehr in der Wechselzone (einer der Vorteile, wenn man wie ein Stück Treibholz schwimmt). Nach wenigen Kilometern durch die äußeren Bezirke der Stadt entpuppte sich die Radstrecke als die wohl schönste, die ich bisher erlebt hatte. Was sich jetzt wohl wie der Klappentext einer Inga Lindström Schnulze anhört, ereignete sich wirklich so: es ging zwischen leuchtend grünen Mischwäldern auf der einen und blitzblauen, stillen Seen auf der anderen Seite über hügelige Straßen in das Umland von Jönköping. Immer wieder tauchte ein klassisch rot-weißes Holzhaus am Waldrand auf, von dessen Veranda aus schwedische Familien die Athleten während des Frühstücks anfeuerten (und sich wohl dachten: „… die sind doch alle nicht dicht…“). Die Laubwälder wechselten sich anschließend mit weiten Wiesen und Feldern ab und immer wieder kam man an kleinen Ortschaften vorbei. Man hätte das Bild nur noch durch eine Elchfamilie toppen können, die mal über die Straße läuft. Trotz der Szenerie, die tatsächlich kitschig as fu** war, fragte ich mich eigentlich immer nur: Hügel durchdrücken oder Tempo rausnehmen? Werde ich überhaupt noch laufen können, wenn ich in diesem Tempo weiterfahre oder sterben die Beine bei Kilometer 50 ohnehin ab? Zugegeben, ich bin eher die Bergfahrerin, von dem her forderte mich das permanente Auf- und Ab der Radstrecke schon heraus. Auf einer langen Geraden dachte ich temporär auch, dass ich wohl einen Defekt haben müsse, denn trotz großer Anstrengung ging nichts weiter, die Geschwindigkeit sank und ich dachte mir hier zum ersten Mal „Ist’s noch weit?“. Nachdem die anderen Athleten aber auch langsamer wurden, erkannte ich, dass es sich bei der „Geraden“ ja wieder mal um einen schleichenden Anstieg handelte. Also alles gut. Kurz bevor man dann auch noch über eine Brücke fahren durfte, die zwei pittoreske, tiefblaue Seen in Hälften teilte, der Schreckmoment: ich … hatte … meinen … zweiten … Haargummi … verloren! Na toll. Der schön geflochtene Zopf hatte sich bereits in einen Haar-Vorhang verwandelt und ging mir nicht nur mächtig auf die Nerven, schlimmer noch: es sah mit Sicherheit auch fürchterlich aus. Offenes, langes Haar unter dem Helm – das erinnerte mich zu sehr an die alten Eishockeyzeiten. Die Spielerinnen (wenn es denn tatsächlich Frauen waren?) aus der Slowakei und Tschechien präferierten diesen Style auch … damals im Jahr 2001. Und nein, das war nicht mein Style-Ziel! Wie würde das nun auf den Race-Fotos aussehen? Das Rennen, der Trip, alles war umsonst. Es war fast so schlimm, wie beim Radtraining nach dem Warten vor einem Bahnübergang weiterzufahren, aber zu vergessen bei der Garmin auf „Resume“ zu drücken. Alles umsonst eben. Na guuuut, so schlimm war es dann doch nicht … lassen wir die schwedische Holzkirche mal im Dorf.

(c) FinisherPix.com
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Ich weiß nicht mehr, wer sagte, dass es auf den letzten 20 Kilometern ja nur noch bergab geht … er war in jedem Fall ein Lügner. Nach der Stadt Husqvarna (Fichten-Moped … anyone?) ging es nämlich nochmal nett nach oben, bevor man wieder nach Jönköping einreiten durfte. Ich wollte meinen schönen 31.1 km/h-Schnitt aber nicht zerstören und so wurde gedrückt, obwohl die Taktik ja eigentlich das Auslockern der Beine für das Laufen vorgesehen hatte. Auf diese Art und Weise brachte ich aber meinen besten Bike-Split bisher in die Wechselzone und war, trotz der Haare (!!!), richtig happy.
In der Wechselzone machte ich mir schnell die Haare schön und schon ging es los. Wie immer wurde der erste Kilometer zu schnell angegangen, diesmal mit einer Pace von 04:15 sogar noch schlimmer als in St. Pölten. Aber scheinbar brauchte ich das, spätestens nach diesem „Einlaufen“ wurde ich ruhiger und fand den Rhythmus. Da kann man dann auch mal winken.

(c) FinisherPix.com
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Dreimal galt es den Ort meines inferioren Schwimmens zu umrunden – in anderen Worten: galoppiere dreimal um den See und durch die Innenstadt, Einhorn, wenn du dein drittes Armband hast, darfst du auf die Finish Line abbiegen. Die Laufstrecke selbst war ziemlich selektiv, nicht nur, was die lustige 180 Grad Wende auf Straßenbreite oder die Steigungen betraf (dieser Hügel neben der Universität brachte einige Leute zur Verzweiflung und zum Gehen), sondern auch den Bodenbelag: mal Asphalt, mal Schotter, mal Kopfsteinpflaster, mal Teppich, mal ein Stückchen Wiese. Es war eben für jeden etwas dabei, machte das Laufen aber nicht einfach.
Die Zuschauer und Volunteers an der Strecke waren wieder sensationell und für nüchterne Schweden sehr euphorisch! Obwohl sie ja besonders gefordert wurden: irgendwo war ein Fehler passiert und so hatten alle Athleten nicht den Vornamen, wie generell bei Ironman-Rennen üblich, sondern den Nachnamen auf der Startnummer. Mit dem Namen „Weiss“ konnten die armen Leute somit nicht wirklich viel anfangen und so rief man einfach „Bra jobbat … tjej!“, was so viel heißt wie „Gut gemacht … Mädchen!“. Ich nahm alles freudig an, ob „Heja“, „Go“, „Good Speed“ oder „Work it“.
Die letzten Kilometer waren ein Traum: zwar hätte ich mich ob der Anstrengung (das Tempo wurde nochmal angezogen, um nicht wie scheintot dahin zu schleichen) fast übergeben, aber die Stimmung in der Altstadt war so toll, das musste man genießen. Ein letztes Mal ging es über die Holzbrücke zum Expo-Gelände hinauf, ich sah schon den Springbrunnen und die Finish Line und konnte nicht mehr aufhören zu strahlen.

(c) FinisherPix.com
(c) FinisherPix.com

Yeeey, habe gleich fertig! Das happy Einhorn überquerte die Ziellinie, drehte sich um, sah die Endzeit von 05:25:50 und begann aus Freude fürchterlich emotional zu werden. Volunteers kamen herbei und dachten, ich würde einen Arzt brauchen, dabei freute ich mich einfach nur so unfassbar über die Zeit, mit der ich niemals gerechnet hatte. 20 Minuten schneller als bei der letzten Mitteldistanz … whaaaat!?! Nach einigen peinlich-weinerlichen Minuten und fünf Bechern Wasser wollte ich dann meine Street Wear-Bag abholen, um auch Kontakt zur Heimat aufzunehmen. Dort fand man meinen Beutel aber nicht. Zitat des Jünglings: „Vielleicht hat ihn ja schon ein Betreuer abgeholt!“. Hahaha, what a funny dude. Ich erklärte ihm, dass mein Rad noch in der Wechselzone parkt, dies somit unrealistisch ist. Irgendwann, nach einer Dreiviertelstunde, tauchte der Beutel dann doch auf und mein Telefon ging über: unzählige Nachrichten von Freunden, ob Glückwünsche oder Nachrichten mit Live-Ticker-Charakter wie „Gib Gas! Du bist super unterwegs!“, „Sehr gut unterwegs, du Maschine!“, „Jetzt nur noch laufen, bleib dran!“ oder „AK13“. Jetzt weiß ich, was „You never race alone!“ bedeutet (auch wenn man in einem anderen Land sein Rennen bestreitet)! Ich war mehr als geflashed und dankbar!


Und das Schöne bei so einer Veranstaltung ist auch, dass man wieder neue tolle Leute kennenlernen darf. So geschah es, dass ich die beiden deutschen Athleten, die mit mir am Samstag im Regen vor dem Bike-Check-In gewartet hatten, zufällig wiedertraf und wir gemeinsam das feierliche After-Race-Abendessen konsumierten. Zu meinem Glück waren es auch noch Orthopäden, die mir versicherten, dass trotz meiner Schmerzen im linken Knie noch keine Amputation notwendig sei. Jaja, die alte Frau und ihr Wadenbeinköpfchen. Danke Jungs, ich war beruhigt! Am nächsten Tag wurde daher mal pausiert … auch mal schön …

Was für ein Trip, was für ein Rennen. Ich war einfach nur glücklich und zufrieden … trotz der Haare auf den Race-Fotos und des schmerzenden Knies. Wenn mich wer fragt „Und? Was hast du so in Schweden gemacht?“, dann ist meine Antwort definitiv: Beauty-Shopping für Körper und Seele ?