Eine Sommergeschichte Teil 1: Die Wasserspiele von Obertrum

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Damals, als ich für mich beschlossen hatte, den Ironman Austria in diesem und auch im kommenden Jahr nicht in Angriff zu nehmen, weil mir dafür einfach der Flow fehlt, dachte ich mir, dass es bis zum ersten richtigen Triathlon seit einer gefühlten Ewigkeit ja mindestens gleich lange dauern würde, wie das Warten auf Shimano-kompatible Wattpedale. Also ziemlich lang. Daher war für mich auch das Anpassen meines Trainingsplanes irgendwie in weite Ferne gerückt. Aber ich hatte mir zumindest mal ein Rennen ausgesucht, welch Motivationsschub! Nun hätte ich mir selbstredend einen kleinen und einfachen Wettkampf wählen können, immerhin lag der letzte Triathlon mittlerweile beinahe zwei Jahre zurück und wer weiß da schon, ob das Einhorn die richtige Reihenfolge des Dreikampfs überhaupt noch hinbekommen würde. Oder man hat einen Vogel und entscheidet sich, den Wiedereinstieg in den Triathlon bei den Österreichischen Meisterschaften auf der Mitteldistanz in Salzburg zu wagen. Für rund 20 Sekunden nach dem Finalisieren des Anmeldeprozesses hielt ich dies für eine überaus kluge Idee, je näher das Rennen rückte, eher nicht mehr. Statt meinen Trainingsplan für dieses Vorhaben zu adaptieren, wählte ich den Weg der Selbstgeißelung: man schaut sich an, wie denn die Leute, die man aus der Vergangenheit kennt, bei den bisherigen Rennen in diesem Jahr so performt haben. Oje. Hätte ich das mal nicht getan.

Ich weiß nicht, was diese enorme Leistungsdichte bewirkte, aber ich vermute, dass die meisten die Corona-Krise für sehr intensives und umfangreiches Training nutzten und sich nicht lediglich damit begnügten, endlich das Gewürzregal in der Küche neu zu sortieren (wenngleich ich finde, dass dies auch eine Leistung war, immerhin hatte ich das so lange auf meiner To-Do-Liste #proud). Anyways, die Leistungen waren so stark, da zog es mir mal kurz die rosa Radschühchen aus. Es würde im schönen Salzburger Land also wohl ziemlich desaströs werden.

Übermannt von Versagensängsten und Panik, weil man das Integrieren von essenziellen Trainingseinheiten wohl verabsäumt hatte, fand ich mich kurz vor dem Rennen in jener Situation wieder, die die meisten von uns kennen: noch schnell auf Biegen und Brechen (vor allem Brechen) versuchen, mit zwei harten Einheiten die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Diese müssen doch all die Versäumnisse der vergangenen Wochen und Monate egalisieren. Oder auch nicht.

Die Abreise nach Obertrum stand an. Ungelogen checkte ich vor der Abfahrt mindestens zehnmal, ob ich denn nun alles eingepackt hatte, nur um dann 100 Meter nach dem Verlassen der Einfahrt nochmals rechts ranzufahren und erneut nachzusehen, ob das Startnummernband und die Schwimmbrille den Weg in den Kofferraum gefunden hatten. Wie eine Anfängerin. Als hätte ich noch nie das Equipment für ein Rennen zusammengepackt. Als hätte ich noch nie einen Ironman gemacht.

Obertrum empfing mich mit strömendem Regen, vielen Umleitungen und Straßensperren, wobei sich immer wieder die philosophische Frage aufdrängte, ob man eigentlich etwas sperren kann, das ob der Sturzbäche de facto nicht mehr zu sehen war. Streberhaft und beinahe professionell wollte ich mir nach der Registrierung noch die Wechselzone und den Schwimmstart resp. Schwimmausstieg ansehen, dies fiel jedoch wortwörtlich ins Wasser. Nein, bei andauernden Wolkenbrüchen nehme ich keinen Location-Check vor. So motiviert war ich dann doch nicht. Der neue Plan war es also, am morgigen Renntag wirklich früh vor Ort zu sein und mir dann alles in Ruhe anzusehen, auch wenn der Wetterbericht keine Änderung hinsichtlich der Sintfluten von oben ankündigte.  

Also ging es ins Hotel, wo ich das Lebensgefährt auf das Rennen vorbereitete … und mich auch. Nebst einem letzten technischen Check des Rads und dem recht maßlosen Hineinstopfen von allem Essbaren, bedeutet dies in meinem Fall vor allem ein kleines, aber schnelles Läufchen. Dafür galt es aber auch bis beinahe 20.00 Uhr am Abend zu warten, denn davor hätten mich die Regengüsse und der Sturm wohl von der Straße gefegt. Der Lauf war toll, ich fühlte mich super und ich war überzeugt: egal wie das Wetter werden würde, das Einhorn zieht es durch. Ein Schelm, wer an dieser Stelle denkt, dass diese Euphorie und Selbstsicherheit länger anhalten würden als 45 Minuten. Schon beim Lackieren der Nägel nach der Dusche keimte wieder Panik auf. Da lag es also im Bett, das Einhorn, rastlos und vom Einschlafen mindestens 70.3 Meilen entfernt. Eine Ode an das Gedankenkarussell:

  • Wie war denn eigentlich die Reihenfolge bei den Tasten auf der Garmin?
  • Was mach ich denn, wenn das Anziehen der Schuhe am Rad nicht funktioniert, denn das hatte ich standardmäßig nicht geübt?
  • Vielleicht gehe ich am Rad auch kläglich ein? Irgendwie fühle ich mich am Rad ja fürchterlich schwach in diesem Jahr.
  • Was mach ich denn, wenn die Gehfäden nicht laufen wollen?
  • Wie peinlich wäre es denn, wenn ich gar nicht mehr weiß, was ich da tue?
  • Vielleicht verirre ich mich auch?
  • Und vor allem: was mach ich denn, wenn es keinen Parkplatz mehr gibt? Ich fahr am besten noch früher hin…

Ja, ich denke, es wäre angenehmer gewesen, ein kompletter Newbie zu sein, von einem solchen erwartet man auch nichts… aber von einem für die Ironman 70.3 WM qualifizierten Blondie vielleicht doch ein wenig mehr. 

Mit in Summe 2,5 Stunden Schlaf ging es zur Rennlocation und spannenderweise lief dann alles wie auf Schiene. Jeder Handgriff beim Einrichten der Wechselzone saß, Ruhe kehrte ein (vielleicht war ich aber einfach schon wieder müde) und obwohl sich die meisten Athleten vor dem schlechten Wetter fürchteten, sah ich auch dies überaus entspannt. Springen wir also gleich mitten ins Geschehen aka. in den Trumer See!

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Ich bin wahrscheinlich der einzige Athlet, der sich über eine Schwimmzeit von 40 Minuten freut, aber für den Schwimm-Lulu handelte es sich hier um einen großen Erfolg! Der Schlüssel zu einer schnelleren Schwimmzeit scheint folglich schlichtweg die Absenz von Training zu sein. Diesen neuen Ansatz nahm ich gerne so an! Der anschließende Weg in die Wechselzone war gefühlt rund fünf Kilometer lang – welch ein Glück, denn der obere Teil des Neoprenanzugs ließ sich einfach nicht ausziehen und mit roher Gewalt kaputt machen, wollte man das teure Ding auch nicht. Aber es sollte nicht der einzige Kampf mit Gummi an diesem Tag werden, denn das Gummigranulat des Sportplatzes, auf dem die Wechselzone eingerichtet war, war einfach überall. In den Socken, den Radschuhen, den Laufschuhen und auch tags drauf immer noch irgendwo im Auto. Es handelte sich eben um unglaublich treues Zeug, das sich in den Schuhen jedoch nicht ganz so angenehm anfühlte. Glücklicherweise kann man solche Faktoren im Rennen aber gut ausblenden, denn irgendwas tut ohnehin immer weh. Zunächst galt es aber den Wechsel auf das Rad mehr oder weniger elegant umzusetzen und das gelang überraschenderweise auch! Nur die Sonnenbrille musste nach rund 200 Metern im strömenden Regen wieder den Dienst quittieren, denn aufgrund der Abwesenheit von integrierten Scheibenwischern war die Sicht gleich Null. Also weg in die Rückentasche damit und weiter ging es auf der Wasserrutsche. Die erste von drei Runden war für mich ein Kennenlernen und ein Einschätzen, ob man denn irgendwo sterben würde oder doch eher nicht. In der Tat war es für mich sehr schwierig, richtig einzuschätzen, wie viel Gas die Gehfäden geben können würden (welch faszinierende grammatikalische Konstruktion!), denn mit dem Thema Pacing hatte ich mich einfach zu wenig beschäftigt und die Trainerin ist bekanntermaßen immer auf das Zusammenstellen der Rennoutfits fokussiert und nicht auf das Kredenzen eines detaillierten Raceplans. Grundsätzlich lautet dieser eigentlich immer gleich: das Schwimmen überleben und trotz der Abgeschlagenheit nicht den Hut draufhauen, am Rad erste Schadensbegrenzung betreiben, ohne sich zu vernichten und beim Laufen alles retten, was noch zu retten ist.

Auch auf die Gefahr hin, dass mich die meisten nun für wunderlich halten, wobei mir klar ist, dass dieser Punkt schon längst erreicht wurde, muss ich an dieser Stelle zugeben, dass mir die widrigen Bedingungen auf der Radstrecke nichts ausmachten. Solange ich die Straße unter dem stehenden Wasser noch sehen konnte und es nicht auch noch hagelte, war ich entspannt. Vielleicht hatte mich in diesem Jahr aber auch der Kärntner Radmarathon in den Nockbergen abgehärtet, den fand ich mit teilweise vier Grad und Regen doch grenzwertig. Vielleicht brachten mir meine Ausflüge in den Radsport aber auch technisch den einen oder anderen Vorteil, denn ich fühlte mich auch auf den Abfahrten stets sicher und ließ es einfach rollen, getreu dem Motto „Lassen wir runter die Kiste, was wird schon sein?! Irgendwo steht sicher eine Rettung!“.

In salopp gesprochenem Stile geht es weiter: ich hab sie nicht gebraucht. Mit der Erkenntnis, dass Radfahren trotzdem man sich dabei nicht vernichtet hatte (und wohl deshalb nicht so rasch war, wie erwartet) schon recht anstrengend ist, kam ich nach einem fast eleganten Absteigen und mit drei Kilo Gummigranulat an den Socken vom Sprinten bis zu meinem Platz in der Wechselzone an. Weil das Zeugs allein für eine adäquate Beschwerung der Laufschuhe aber nicht ausreichte, stand natürlich zentimeterhoch Wasser in den ohnehin schon vollgesogenen Laufschuhen. Man gönnte sich ja sonst nix, also Patscherln an und los ins nächste Wasserloch. Dieses befand sich am Ende der Wechselzone und hatte übrigens sogar einen eigenen Streckenposten, der die Athleten davor warnte. Natürlich musste ich als Dirtsau-Was kostet die Welt-Traillauf-Spaßathlet mittig durchlaufen und ging darin wirklich fast verloren. Jupp, es war tief und ich bin ja bekanntlich recht klein. Obwohl man so lange keinen Triathlon mehr bestritten hatte, sind manche Dinge einfach Gesetz und Gewohnheit – so auch das brutale Überpacen auf den ersten drei bis vier Kilometern auf der Laufstrecke. Natürlich laufen wir eine 04:00 min/km Pace, natürlich wird das nicht lange gut gehen und natürlich machen wir es dennoch! Das klassische Zwiegespräch zwischen Kopf und Beinen setzte ein. Kopf: „Oh, da müssen wir jetzt athletisch aussehen – da sind Zuschauer! Geht schon, Gas!“… Beine: „Mach deinen Shit doch allein! Wir sind raus.“. Aber egal wie sehr der Kopf davon überzeugt war, dass man durch diese Vorgehensweise gut, schnell und athletisch aussah, so jäh hielt die Realität Einzug. Schamlos. Ohne Erbarmen. Wegen des Wetters hatte ich keine Sonnenbrille auf, ein Blick in mein gezeichnetes Gesicht verriet die ganze Wahrheit. Es gab kein Verstecken! Fürchterlich! Krampus unleashed! Also Hauptsache schnell ins Ziel galoppieren, solange die Beinchen noch laufen wollen! Nachdem man den Zielteppich während des Laufens schon mehrfach erblicken durfte, aber davor immer für die nächste Laufrunde abbiegen musste, was ich jeweils schon als echt fies bezeichnen würde, war es nach nicht ganz 21 Kilometern endlich so weit: yeah, das Finishlinegefühl! Dafür tut man sich das schließlich an und dieses Gefühl ist es jedes einzelne Mal wert.

Im Ziel mimte ich mit allerlei Obst und Kuchen in der Hand und in eine Wärmedecke gehüllt eine nasse Folienkartoffel und es fühlte sich wahrlich schön an, nach so langer Zeit wieder unter anderen Wahnsinnigen zu weilen, neue Freundschaften zu knüpfen und einfach zufrieden zu sein. Meine Zielzeit war nicht grottig, weder das Lebensgefährt noch das Einhorn waren in den Fluten umgekommen und ich wusste, dass ich im Anschluss maßlos Pommes in mich stopfen würde. Als ich das Rad verstaut hatte und mich, jeder Triathlet kennt es, ungelenk und müde im Auto aus dem nassen Trisuit schälte, trudelte die Nachricht meiner Vereinsführung am Handy ein: Gratulation zum Vizestaatsmeistertitel in deiner Altersklasse!

Was, wer, ich? Ich war doch geistig schon am Weg zu Junkfood und einer heißen Dusche?! Und jetzt gibt es noch eine Silbermedaille in meiner Age Group? Happy wie ein Schneekönig trottete ich schließlich zur Siegerehrung und durfte mich neben der Österreichischen Meisterin Simone Kumhofer einreihen. Da werde ich gerne mit rund fünf Stunden Rückstand Zweite in der gemeinsamen Altersklasse. Generell musste man sich vor den starken Leistungen der vielen Mädels verneigen und ich bin stolz, dass ich mich da weiter hinten gereiht auch dazugesellen durfte. Der größte Triumpf war aber wohl das korrekte Bedienen meiner neuen Uhr: zum ersten Mal seit Jahren hatte ich es geschafft, einen Triathlon korrekt mit meiner Garmin aufzuzeichnen #triumpf

Darauf erstmal eine große Portion Pommes!