Ironman 70.3 St. Pölten aka. Wildsau Dirtrun

Was pustet es denn leichter von der Straße? Einen Panzer oder einen Mini Cooper?
Diese Aussage oder rhetorische Frage meines Teamkollegen bei der Anreise begleitete mich das ganze Wochenende im Rahmen des Ironman 70.3 in St. Pölten … eben genau so, wie die Sturmböen selbst. (… mein schnittiges Rad und mich meinte er hoffentlich mit dem Mini Cooper …)

Die Tage vor dem Rennen lassen sich recht schnell zusammenfassen:
Erster Tag
– Versuch, die wichtigsten Passagen der Radstrecke abzuchecken, sich dabei mehrmals verfahren (Jungs, ich dachte, ihr wisst wohin? 😀 ) und es dann bleiben lassen. Da war das Wetter noch heiß,   aber schon windig.
– Registrierungsprozess durchlaufen und traurig erkennen, dass Badehaube und Startnummer nicht rosa sind (verdammt!).
– Beim Abendspaziergang mitsamt Eis in der Hand durch den Sturm fast vom Gehsteig geweht werden.

Zweiter Tag
– Bike einchecken und bemerken, dass das Wetter noch schlechter wird.
– Wechselzonen und Landgang zwischen den beiden Seen analysieren.
– Beim zweiten, steilen Schwimmeinstieg stehen und sich denken: japp, hier werde ich morgen in bester Bowling-Manier gleich mal hinunterkugeln und elegant ein paar Leute mitreißen – wird gut aussehen!
– Erkennen, dass sich hinlegen, Füße in ein Sprudelbad geben und ein paar Folgen „Als die Tiere den Wald verließen“ schauen auch vollkommen ok und eigentlich angenehmer wäre, aber dennoch einen kleinen Lauf machen, um sich einzugrooven.

So, jetzt wird es aber ernst …
Raceday. Zum ersten Mal überhaupt hatte ich durchgeschlafen. Dies bedeutete entweder, dass ich das Ganze nicht so ernst nahm oder einfach müde war. Normalerweise war ich ja in der Nacht vor dem Rennen alle 1.5 Stunden wach, panisch und frage mich: „Ist es schon soweit?“. Diesmal fragte ich mich um 04:10 Uhr aber nur: „Warum duscht denn der Teamkollege im Zimmer nebenan jetzt so ausgiebig?“. Dabei war es aber gar kein Duschwasser, das ich hörte, sondern strömender Regen und Sturm. Echt jetzt? Ich begann zu lachen, drehte die Musik auf und nahm das Ganze mit Galgenhumor. Getoppt wurde die Situation nur noch durch die Tatsache, dass ich mein mitgebrachtes Müsli aus einem Trinkglas mit meiner Zahnbürste essen musste, da der Frühstücksraum des Hotels geschlossen war. Also kein Löffel und keine Schüssel für die Tussi. Eine Ode an die Kreativität.


Je mehr man sich St. Pölten näherte, desto schlimmer wurde das Wetter. Echt jetzt? Am Parkplatz sah ich dann die ersten Athleten, die ihre Bikes wieder auscheckten und heimfuhren, viele andere brachten die Beutel überhaupt schon im Neoprenanzug zur Wechselzone. Es war ein Traum. Das arme Shiv hing traurig und durchnässt in der Wechselzone, es hatte sichtlich gleich viel Bock wie ich. Als ich mir nochmal die Wege in den Wechselzonen einprägte, keimte die Frage auf: „Wie machen wir das denn jetzt mit den Radschuhen?“ Wenn ich die nasse Beton-Treppe hoch zu den Run-Beuteln mit Radschuhen laufe, würde es mich sicher auf die Fresse legen. Wenn ich die Schuhe am Rad schon ausziehe wahrscheinlich auch. Eine klassische No-Win-Situation. Geübt hatte ich das An- und Ausziehen am Bike ja noch nie (vergessen, keine Lust …). Ich wollte das spontan im Rennen am Rad entscheiden, irgendwann musste es die Premiere ja ohnehin geben.


Sobald man dann im Neo steckte, war es fast warm, jedoch nur fast, denn am Weg zum Schwimmstart hing ich dort, wo einst mal ein Fußweg war, mehrmals mit den Flipflops im eiskalten Morast fest. Ach, wäre das wieder eine lustige Geschichte geworden: DNS, weil wetterbedingter Kreuzbandriss bei der Anreise a pedes. Während ich in der Masse an Athleten auf den Schwimmstart wartete, der Regen ins Gesicht prasselte und die Füße aufgrund der Kälte langsam taub wurden, kam mir mehr als einmal der Gedanke: „Meine Güte, wie beschränkt bist du eigentlich? Es hat elf Grad, schüttet wie aus Eimern und du glaubst, da jetzt einen Halbironman machen zu müssen.“. Ja, der Gedanke war völlig legitim, liebes Hirn. Aber weil ich schon mal da war …
Schwimmstart! Der Rolling Start funktionierte nur bedingt, irgendwie starteten alle in einer großen Masse, ohne sich der Schwimmzeiten entsprechend anzustellen. So sah ich schon zwischen starken Athleten die ersten Brustschwimmer und Baywatch-Krauler. Also begab ich mich auch irgendwann ins Wasser und schwamm mal dahin. Das funktionierte eigentlich sehr gut, der erste See war schnell absolviert und da ich ja bekanntlich besser laufen als schwimmen kann, sprintete ich so schnell es ging zum zweiten See, um Zeit gut zu machen. Als ich meinen Race-Support Sabrina schreien und jubeln hörte, freute ich mich so und musste peinlich herumfuchteln, dass ich auf dem glatten Boden ausrutschte und fast stürzte. Elfengleich und grazil (ok, das eher nicht) konnte ich den Worst Case aber vereiteln. Eigentlich hätte ich aber auch hinfallen können, denn vor dem zweiten See stand ich dann im Stau. Der Weg hinab zum Einstieg war so rutschig, dass jeder Athlet nach der Reihe von den Helfern ins Wasser geleitet wurde. Rhythmus weg, Elan weg, tolle Schwimmzeit weg. Der zweite See wurde irgendwie absolviert, Hauptsache fertig. Der anschließende Wechsel auf das Rad war beinahe tadellos und unspektakulär, einzig die Technik war wieder mein Freund. Mit eingefrorenen Fingern hatte ich so planlos an der Uhr, herumgedrückt, dass ich das Rennen schon auf „beendet“ stellte. Toll. Also ging es zunächst mal ohne technische Unterstützung weiter zum Highlight der Radstrecke – fast 30 Kilometer auf der Autobahn! Ohne Regen und Wind wäre dieser Streckenabschnitt auch sicher richtig cool, mir froren jedoch die Arme in der Aero-Position fest. Das bemerkte ich erst so richtig beim ersten Anstieg, als ich den Lenker kaum halten konnte. Memo an mich: das nächste Mal rosa Flausch-Ärmlinge und Fäustlinge in den Wechselbeutel geben.

(c) FinisherPix.com

Obwohl ich trotz meiner Schüchternheit im Training die Bergabpassagen in den Rennen recht kompromisslos angehe, hier gilt mein Motto „Loss obe, die Kist‘n. Rettung is eh do!“, trat ich in St. Pölten stets auf die Bremse. Dadurch konnte ich auch in den Kurven drei Unfällen direkt vor mir noch ausweichen. Die Radstrecke hatte es durch das Wetter wirklich in sich. Der standardmäßige Durchhänger („Mag nicht mehr … Ist’s noch weit?“) durfte bei Kilometer 55 natürlich auch nicht fehlen. Irgendwann werde ich dieses Tief überwinden, irgendwann. Die gefürchtete zweite Steigung stellte dafür kein Problem dar, vielleicht hatte ich im Rahmen des Durchhängers auch nur unterbewusst Kraft für die Bergpassage gesammelt (ja, versuchen wir nur, es schön zu reden). Auf den letzten 20 Kilometern hörte zwar endlich der Regen auf, jedoch wurde der Wind wieder stärker und der Mini Cooper hatte immer wieder damit zu kämpfen, nicht im Graben zu landen. Aus meiner geplanten Zeit von maximal 03:05:00 wurde dank des Wetters eher nichts, auf den letzten Kilometern nahm ich auch noch mehr Tempo raus, um die Beine für das Laufen locker zu bekommen. Nun war der Moment gekommen: Schuhe aus – ja oder nein? Jetzt war ich so weit ohne Sturz gekommen, sollte ich das jetzt riskieren? Kacke verdammt, ja! Und es klappte auf Anhieb, ich war ja so stolz … und richtig schnell in der Wechselzone 2. Im Sprint ging es durch den Matsch, der mal das Fußballfeld der NV Arena war (meine schönen Socken!!! Die sind jetzt noch dreckig und es geht nicht mehr raus …), zu den Beuteln und weiter ins Wechselzelt. Dort brach dann das Tourette-Feuerwerk los. Ich bekam den vermaledeiten Beutel nicht auf. Da waren gefühlte 235 Knoten und Schleifen an der Öffnung. War ich heute Morgen beim Check-In besoffen gewesen? Normalerweise wird der Beutel bei mir mit einer Schlaufe geschlossen, die sich mit einem Ruck öffnen lässt. Jetzt das? Eine Schimpftirade in allen möglichen Sprachen später warf ich erneut einen Blick auf die Startnummer. Ja, die Tussi hatte in der Hektik den falschen Beutel genommen, 826 statt der 825. What a fail. Also wieder retour, Beutel zurückgehängt, meinen genommen, zurück ins Zelt, Schuhe an und los ging es. Endlich laufen! Durch diese Einlage hatte ich nicht mal mehr Zeit für Lipgloss und startete mit einer Pace von 04:20 in den Halbmarathon. Ich durfte meine treuen Race-Supporter Christian und Sabrina ja nicht enttäuschen. Die beiden hatten sich so weite Wege für mich angetan, da konnte ich nicht herumschleichen. Mir war aber bewusst, dass ich mit diesem Schnitt wohl bei Kilometer fünf sterben würde, also siegte die Vernunft und der Speed wurde gedrosselt. Wenigstens beim Laufen wollte ich meine angepeilte Zeit von 01:45:00 hinbekommen.

Und es lief perfekt – ich weiß bis heute nicht, woran es lag, aber die Gehfäden waren so locker und fit, dass ich mühelos unter der geplanten Pace laufen konnte. War es etwa die Absenz des Lipgloss (wenn ja, würde dies mein Weltbild ein wenig erschüttern …)? Bei der Wende nach der ersten Runde war im Zielbereich die Stimmung schon am Kochen, die Zuschauer machten richtig Stimmung und sogar die Sonne zeigte sich immer wieder. Wer hätte das gedacht? Top motiviert ging es auf die zweite Runde und ich freute mich wie ein veganes Schnitzel auf den Zieleinlauf. Spätestens bei Kilometer 19 wurde mir bewusst, dass es nicht mehr weit war und ich eine Laufzeit von 01:39:30 ansteuerte – eine Zeit, die ich derzeit in einem Halbmarathon als Einzelrennen laufe. Oje, da wurde sie wieder emotional und kämpfte mit den Freudentränen. Echt jetzt? Wie geil! Die letzten Meter standen an, ich bog auf den magischen Teppich ein, hörte meinen Race-Support und klatsche mit allem ab, was sich so anbot. 05:46:00 – done! Kein Sturz, Rad ok und top gelaufen. Ich sah aus, als hätte ich mich vom Wildsau Dirtrun nach St. Pölten verirrt. Dreckig, aber unfassbar happy!

(c) FinisherPix.com

Insgesamt habe ich gar nicht genüg Hüte, die ich vor den Leuten in St. Pölten ziehen kann. Obwohl die Crew irgendwie jeden Tag aufgrund des Sturms alles neu aufbauen musste, obwohl das Wetter wahrlich zum Kotzen war, die Organisatoren und die Volunteers gaben mehr als 100%. Bei jeder Labestation ein Lächeln unter dem Regenmantel und Motivationsrufe für jeden Athleten! Dieser Spirit ist einzigartig – this is Ironman – this is what I came for!