Ja wo is sie denn, die Nervosität?

Von all den Gesetzen, die es so gibt, ist wohl das Murphy‘s Law jenes, dem keiner entkommen kann. Auch ich nicht.
Höchst professionell wie ich nun mal bin, beschloss ich 12 Tage vor dem Ironman Austria, mal zu testen, ob ich denn überhaupt 3.8 Kilometer schwimmen kann. Als technischer Complete-Fail hatte ich mich ja in den letzten Wochen eher auf das Technik-Training konzentriert und nicht viele Kilometer gemacht. Immerhin hatte ich auch SCHON 3 Wochen vor dem Ironman zum ersten Mal den korrekten Armzug bei der Crew von Swim Performance in Stuttgart erlernt. Es ging, ich hatte zwar keinen Spaß, aber es ging. Ach wie beruhigend, wir würden wohl nicht ersaufen. Rund 30 Minuten nach Verlassen des Karpfenteichs Längsee begann es dann aber: Niesen, Nase zu, Kopfweh. Ersteres kommt ja öfter nach dem Schwimmen vor, aber nicht in diesem Ausmaß. Egal, als Maximaloptimist war ich überzeugt, dass es am nächsten Tag wieder gut sein würde und ich am Freitag noch eine freshe und lockere Radausfahrt vor dem richtigen Tapering anstarten könne. Das hat sie aber nur gedacht, denn am nächsten Tag war ich schwer erkältet und kam kaum aus dem Bett. Was war da los? Begann jetzt der körperliche Verfall – 10 Tage vor der ersten Langdistanz? Im Gegensatz zu meinen oberen Atemwegen war der Maximaloptimist aber noch immer nicht tot und so sagte ich mir: Egal, lieber jetzt als nächste Woche. Es wurde aber immer schlimmer, eine Nebenhöhlenentzündung gesellte sich dazu. Vielen Dank! Whaaat?! Jetzt? Ernsthaft? In meiner sportlichen Vergangenheit hatte ich ja oft dumme Dinge getan (Eishockeyspielen mit Bronchitis, Playoffs mit angerissenem Band im Knöchel, Overtime mit Antibiotika), aber angesichts der bevorstehenden Langdistanz und der Tatsache, dass man ja nur Lulu-Amateur ist, der damit nicht sein Geld verdient, war für mich klar: sobald Fieber dazu kommt oder die Einnahme von Antibiotika notwendig ist, starte ich nicht. Punkt. (Ein schönes Gefühl, wenn man im Alter zumindest irgendwo dazugelernt hat …).

Vier Tage früher als geplant legte ich also die Beine hoch, ernährte mich von Tee, Zink und Vitamin C und hatte ob der permanenten Einnahme homöopathischer Tropfen wohl über diese Zeit einen konstanten Pegel von 1 Promille. So entspannt ich in den ersten Tagen der Krankheit noch war („.. wird schon wieder, no worries!“ … möglicherweise dem Alkoholauszug geschuldet?), wandelte sich diese Einstellung mit der Zeit zu einer leichten Panik („.. warum werde ich nicht gesund, Kacke verdammt!“). Mir ging ja alles so auf den Keks, dabei wollte ich doch der euphorischen Nervosität frönen. Aber nix.
Punktgenau eine Woche vor dem Renntag ging es langsam bergauf, so versuchte ich dann wieder mal einen lockeren Lauf. Mit einer krassen Pace von 07:00 Minuten pro Kilometer schneckte ich in der Sonne dahin und sah mich vor meinem geistigen Auge auf der Ironman-Laufstrecke krepieren. An den nächsten beiden Tagen wurde auf dem Lebensgefährt locker herumgerollt und so langsam kehrte wieder so etwas wie Kraft und Muse ein. Die Nervosität blieb aber weiterhin aus. War noch alles ok mit mir? Durch die Krankheit rückten jeder Gedanke an Zeitvorgaben, Teilziele und der Erwartungsdruck in den Hintergrund. Ich wollte am 1. Juli einfach nicht sterben und irgendwie das Ziel sehen. Aus psychologischer Sicht war die kränkliche Rennvorbereitung auf den zweiten Blick also sogar ganz gut. Nachmachen würde ich es jetzt aber doch nicht, es geht sicher lustiger.
Beim letzten großen Check des Lebensgefährts fiel auch noch auf, dass der Flaschenhalter an der Sattelstütze zwei markante Risse aufzuweisen hatte. Toll. Dabei hatte ich gehofft, dass wenigstens das Material robuster war als ich. Bemerkt hatte ich die Bruchstellen zuvor auch nicht (war möglicherweise auch das dem Alkoholauszug geschuldet? Einsetzende Altersblindheit?), aber gut, sie waren ja auch nicht rosa angemalt. Leicht unentspannt bewegte ich mich somit schon am Donnerstag Richtung Expo und hoffte, dort einen neuen und passenden Flaschenhalter zu finden. Da sich in diesen beiden Trinkflaschen ja ca. 60 % meiner Rennernährung befinden, wäre ein Verlust eher suboptimal gewesen. Der erste Weg war also nicht jener zur Registrierung, sondern der zum Bike Equipment. Und was hat sie sich dann gefreut: zack, auf den ersten Blick den identen Flaschenhalter gefunden und schon war das Einhorn wieder glücklich und entspannt. Bei der Registrierung wurde ich vor dem Lizenzcheck gleich mal mit „Da ist sie, die Frau Unicorn“ begrüßt und ich fühlte mich für rund 10 bis 15 Sekunden richtig cool und famous. Wenige Augenblicke später war das Einhörnchen dann auch schon registriert oder wie ich es nenne: „Bändchen drauf – officially teppert“. Wunderlicherweise stellte sich aber noch immer keine Nervosität ein, sondern eher Vorfreude. Vorfreude nämlich… so viel zum Thema „officially teppert“.
Freitagvormittag – Radmontage deluxe. Vor der letzten Testfahrt montierte ich alles so, wie es im Idealfall am Sonntag auch sein sollte. Und es sah ja so schön aus. Ganze sieben Kilometer gurkte ich herum, testete nochmal alle Schaltvarianten und weil es so schön war, lief ich auch noch ein paar Kilometer jenseits der geplanten Rennpace sinnlos herum. Eh klar, mit 04:00-Schnitt den Berg hinauf … steht so wohl auf keinem Plan der Welt, aber wenn das Einhorn wieder mal seinen Rappel hat und wie ein Hendl herumrennen muss, dann soll man den Flow ja nicht brechen.

Am Abend ging es dann mit meinem Vereinskollegen endlich zum großen Fressen aka. der traditionellen Pastaparty. Für mich war es Teil 1 des „Schauen wir mal, wer auch noch so verwirrt ist und sich das antut“-Prozedere. Ernüchterung: außer mir trug wieder mal keiner ein rosa Einhorn-T-Shirt. Vielleicht war ich aber auch falsch und die Freak-Show fand doch in einem anderen Zelt statt.

Am späten Abend kam sie dann endlich – die Nervosität. Während des Beklebens der Beutel und des Rades wurde mir dann doch langsam bewusst: wegen des Ironman-Blödsinns in zwei Tagen wäre es gewesen. Oh verdammt, bald ist es soweit! Aber gut, nur weil man das Bändchen trägt, muss man ja nicht auch wirklich starten … wäre dann zwar ein teures Accessoire, aber eigentlich eh ein sexy Stück (bis auf die grausliche orange Farbe).

Teil 2 des „Schauen wir mal, wer auch noch so verwirrt ist und sich das antut“-Prozedere folgte wie angekündigt am nächsten Tag beim Race-Briefing gemeinsam mit der Steirer-Gang. Gehört hatte man das meiste eh schon hundertmal, aber beim ersten ganzen Ironman kann man sich das schon mal in ganzer Pracht und Herrlichkeit geben… und dabei Leute abchecken. Und da war ja auch noch was: Selbstversorgung! Da ich ja im Bereich „Rennernährung“ eine kleine Mimose bin oder besser gesagt, nur ungern Nahrung im Rennen konsumiere, die ich nicht gewohnt bin, war das Thema „Ja wo sind sie denn, die Beutelchen für die Eigenverpflegung auf der Rennstrecke“ ein wichtiges. Zurück auf der Expo beim Meet and Greet mit Gott und der Welt bestätigten mir dann die diversen Freunde: „Was ist denn mit deinem Sarkasmus und der Ironie passiert? Bist du etwa nervös oder was?“ … Ähm Leute, ja! Angst machte sich doch breit! Ich wurde auch nicht zwingend entspannter, als ich dann finally das Lebensgefährt in die Wechselzone einparkte. Aber eigentlich war ja alles cool, sollte ich was verkackt oder vergessen haben, so gab es ja noch den Rennmorgen, an dem man standesgemäß super entspannt ist und extrem viel Zeit hat. Hahaha.

Am Abend vor dem Rennen war ich dann wie immer noch eine kleine Runde laufen. Ich machte das ja vor JEDEM Rennen so und mit gewohnten Tugenden wollte ich genau vor dem Ironman sicher nicht brechen. Immerhin hatte ich ja auch den Lipgloss in die Run-Bag gegeben (im Kraichgau fehlte er ja und wir wissen: es war nicht cool).
Wahrscheinlich hätte ich mich schon früher ins Bett legen sollen, aber ich hätte doch kein Auge zugetan. Ich rannte mit Essen in der einen und irgendwelchem Equipment in der anderen Hand recht verwirrt und hektisch durch die Wohnung … im Kreis … für so eine Stunde. Nein, nein, sie schmiss ja gar nicht die Nerven weg … nööö.
Die große Frage des Selbstversorgers: welches Essen kommt jetzt wo rein? Was muss ich morgen früh noch zubereiten? Ach, wie sehr wünschte ich mir wieder meine Mitteldistanzen herbei, bei denen das Set-Up mit einer Handvoll Trockenobst und zwei Trinkflaschen am Rad erledigt war. Um 22 Uhr fiel mir dann eh schon ein: mein Gott, die Nägel müssen ja auch noch lackiert werden! Die Farbgebung war für mich als zumindest im Sport schwerst abergläubischen Menschen klar: die gleichen Farben wie in Schweden 2017, denn da war das Rennen dann geil. Hellrosa-Rosa-Hellrosa-Rosa-Hellrosa. Perfekt passend zum Trisuit und zum Rad. Es konnte ja nix mehr schief gehen … oder alles.
Ich zählte mit: fünf Mal stand ich aus dem Bett wieder auf und musste pinkeln. Mit dieser Blasenschwäche hatte ich erst zu Altersheimzeiten gerechnet, es musste wohl an der Nervosität liegen. An Einschlafen war nicht zu denken. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich überhaupt mal geschlafen hatte, aber um 03:40 Uhr läutete am Sonntag dann die Garmin. Raceday! The Switch is on …