Tourette über 1.000 Hügel – Ironman 70.3 Kraichgau

Yeah, es wurde ernst: der erste (und letzte) richtige Formcheck vor dem Ironman Austria stand am Plan! Auf zum Ironman 70.3 Kraichgau in Deutschland!

Die Anreise. Ich dachte, zumindest einen Teil der Strecke mit dem Autozug und im Liegewagen zurückzulegen, sei eine gute Idee. Nein, nope … nix. Das Abteil im Liegewagen nach Feldkirch teilte ich mir mit einem korpulenten Herrn höheren Alters, der wohl vor Reiseantritt in ein Bierfass gestürzt war. Ohrstöpsel, ein dicker Sailfish-Hoodie am Kopf, Kopfhörer mit lauter Musik (und nein, nicht Meditationsrhythmen powered by Klangschalen, sondern meine Laufplaylist) – nichts half gegen das markerschütternde Schnarchen des werten Passagiers. Ich wollte aus dem Zug springen. So wurde es also nichts aus meiner geplanten Erholung. Um 07:30 Uhr morgens ging es also mit knackigen zwei Stunden Schlaf von Feldkirch weiter zur Rennlocation nach Bad Schönborn, wie immer ohne Navi (diesen Tools vertraue ich nicht… und zu retro bin ich dafür auch). Natürlich musste auch noch ein Megastau bei Heilbronn her, somit hatte ich auch genug Zeit, um mich ausgiebig über den Ort Lauchheim zu amüsieren und mich zu fragen, ob man als männlicher Einwohner dann automatisch ein Lauch ist …

Am Freitagnachmittag kam ich finally in Bad Schönborn an und dieser Ort ist ein – ich sage es knallhart – totales Kaff. Viel zu sehen gab es nicht (auch keine Schilder, wie man zum Eventgelände kommt). In der Straße zum Hotel fanden sich eine Apotheke, ein Ärztezentrum und eine Bestattung. Je nach Rennverlauf war also alles da.
Die Registrierung war schnell erledigt, da ging sich dann auch noch ein kleines Einrollen mit dem Lebensgefährt aus. Am Sattel fiel es mir dann zum ersten Mal wirklich auf: ich war extrem müde und fragte mich, wie ich denn hier in Bälde adäquat performen sollte. Im Liegewagen war ich wacher als am Rad… Den Weiher, in dem geschwommen werden sollte, wollte ich mir eigentlich auch mal ansehen, jedoch lag dieser irgendwo 12 Kilometer vom Event Gelände entfernt und ich fand ihn nicht. Das musste ich aber eigentlich auch nicht, es reichte ja, wenn ich mich am Renntag zum Schwimmstart richtig anstellte.


Am Samstag ging es zum Race Briefing und zum großen Buffet oder wie ich es gerne nenne zum „Schaulaufen“. Eigentlich geht es hier ja scheinbar nur darum, so professionell und einschüchternd wie möglich auszusehen (und insgeheim angsterfüllt die austrainierte Konkurrenz abzuchecken). Und wehe, man trägt nicht schon seine Kompressionsstutzen!
Völlig uncool (weil ohne Kompressions-Accessoires) wanderte ich im Anschluss zurück zum Hotel (wie immer rund drei Kilometer … ich absolvierte an diesem Rennwochenende wohl rein durch den Fußweg zwischen der Expo und meinem Hotel einen Marathon … zumindest fühlte es sich so an) und bereitete das Lebensgefährt auf den Bike-Check-In vor. Es war gut drauf – also das Rad – ich war immer noch müde. Das Eintraben und Nägel Lackieren am Abend sollten mich aber in den Rennmodus versetzen – es wirkte.


Guten Morgen, Raceday! Wie so oft vor größeren Rennen schlief ich nur mäßig (oje, wie sollte es erst in der Nacht auf den 1.Juli werden?), der Appetit war auch nicht wirklich groß, aber es sollte noch besser werden. Das hoffte ich zumindest.
Beim Schwimmstart angelangt, sah ich den ominösen Weiher jetzt auch mal und wider Erwarten durfte mit Neoprenanzug geschwommen werden. Ich paddelte sogar ein paar Meter streberhaft ein und war guter Dinge. Bis zu meinem Start musste ich aber noch rund 40 Minuten warten. Es hat also auch Vorteile, wenn man wie ein Lulu schwimmt: man kann lange genug Jan Frodeno und Co. beim Schwimmen betrachten bis man durch den Rolling Start selbst an der Reihe ist.
Start – endlich durfte ich auch mitmachen und ins kühle Nass, denn es war so heiß! Ich schwamm los wie Jan Frodeno (zumindest in meinem Geiste) und fühlte mich gut. Dann war ich zeitweilig mit einem Hindernis konfrontiert. Ein, nennen wir ihn mal voluminös gebauter, Athlet in einem Neoprenanzug um knapp 1.000 € schwamm kess im Bruststil vor mir auf meiner Ideallinie. Wenn ich den Kollegen sogar noch überhole, wissen wir wohl alle ob seiner Schwimmskills Bescheid. Dankenswerterweise habe ich beim Überholen dann auch noch zwei Schläge mit dem Ellbogen mitten ins Gesicht bekommen.  So schön, fast wie in den Eishockey-Playoffs. Ich wurde beinahe nostalgisch. Die Nase und das Jochbein blieben ganz, hatte es kontrolliert. Für meine Verhältnisse schwamm ich insgesamt sehr brav und war happy mit dem Resultat. Dennoch hing mein Beutel in der ersten Wechselzone sehr einsam herum, was einerseits sehr praktisch war, andererseits jetzt aber kein richtiger Ego-Booster.

Hallo Lebensgefährt, los geht’s auf die Radstrecke. Die ersten 15 Kilometer waren noch recht flach, hier war ich noch mit rund 35 km/h im Schnitt unterwegs. Taktisch war dies wahrscheinlich Bullshit, denn dann ging die Kraichgausche Hochschaubahn los und die Gehfäden waren schon ein bisschen müde (aber gut, wann waren sie das dieser Tage nicht?). Ich mag Bergetappen ja eigentlich, aber die Strecke hier war nicht mein Ding. Rampe rauf, kurze Abfahrt runter, scharfe 90 Grad Kurve, wieder ein Anstieg, dann eine Abfahrt, dann durch einen kleinen Ort mit Teilnehmer-Gegenverkehr, dann wieder rauf – es nahm einfach kein Ende und ich fragte mehr als ein Mal: „Oida, ist das euer Ernst, so ein Dreck!“. Einen Rhythmus fand ich nie. Recht bald war mir klar: eine Zeit unter drei Stunden schaffst du heute am Rad nicht mehr. Ach damn it. Ja, es wird mir wohl des Öfteren ein Schimpfwort entglitten sein. Mea Culpa, aber es war nicht lustig. Ich muss zeitweise wohl sehr alleine unterwegs gewesen sein, denn wieso sonst hätte mich eine nette Wespe bei einer Abfahrt begleiten wollen. Eingeparkt zwischen Arm und Aerolenker fand sie es wohl doch nicht so bequem und stach mal sicherheitshalber zu. Eh klar, warum auch nicht. Auf den letzten 30 Kilometern gesellte sich dann ein amerikanischer Athlet mit Kraichgau-Erfahrung zu mir. Bergauf überholte ich ihn immer, bergab dann wieder er mich. Als arrivierter Finisher machte er mir Mut: „Das war jetzt der letzte Anstieg!“ Den Satz brachte der gute Mann ganze vier Mal. Ich hasste ihn temporär, nicht so sehr wie den schnarchenden Flaschenfan im Zug, aber doch ein wenig. Wahrscheinlich meinte er es ja nur gut, aber ich hatte keinen Bock mehr.

(C) FinisherPix.com
(C) FinisherPix.com

Irgendwo zwischen totaler Resignation und „Jetzt geht’s los – Laufen olé olé“ ging es endlich in die zweite Wechselzone, wo ich mir sogar die Zeit nahm, frische Laufsocken anzuziehen. Dies hätte ich mir aber auch sparen können, denn die Gehfäden wollten nicht! Der erste Kilometer war noch im Rahmen, aber dann ging es bergab. Damit war nicht die Strecke gemeint, die war ja wie die Radstrecke hügelig und verwinkelt, sondern mit der Laufleistung. Das kannte ich in dieser Form noch nicht, was war da los? Müde Gehfäden, Schüttelfrost trotz 30 Grad Hitze, Magenkrämpfe … ach, es war ein Traum. Zum Drüberstreuen spielte man bei einem Hotspot auch noch das grausame Lied „Schatzi – schenk mir ein Foto“. Dabei war mir doch schon schlecht!!! Auch die putzigen Alpakas neben der Strecke heiterten mich nicht mehr auf, es war schlimm um mich bestellt. Mir wurde bewusst: auch wenn du dich bis zum Kotzen quälst, wird das heute nix mehr. Also entscheid ich mich für ein „Sicherheitstempo“. Voller Bewunderung und mit ein wenig Melancholie sah ich viele Damen leichtfüßig Richtung Ziel tänzelten, während ich noch eine verkackte Runde vor mir hatte. Ach waren das noch Zeiten, als ich auch so fresh galoppierte … daaaamals 2017.
So richtig habe ich meine persönliche Finishline dann gar nicht mitbekommen. Zugegeben war sie recht kurz, ich war not so happy und die Menschenmengen haben sich nach dem Finish von Frodo und Laura Philipp wohl auch eher zum Bierausschank bewegt, aber ich war dann auch endlich fertig. 05:48:14 stand dann als offizielle Racetime fest. Jajaaaa, da jammert die Tante wohl auf hohem Niveau, aber sie war halt schon mal besser.

Nach dem Bike-Check-out hatte ich beim „Lost and Found“-Zelt auch mal nachgefragt: „Grüß Gott – habt’s ihr zufällig meine Laufbeine gesehen? Irgendwo? … Nix?“ Die Volunteers verstanden entweder den Dialekt oder den Gag nicht. Ich erntete, wie so oft, verwirrte Blicke.

 

Was nehme ich also aus dem Kraichgau als Erfahrung für den Ironman Austria mit?

  1. Profi-Athletin Yvonne van Vlerken fand meinen Lippenstift toll.
  2. Ich werde nicht ertrinken. (Wahrscheinlich)
  3. Mehr schlafen und essen!
  4. In die Running Bag wird wieder Lipgloss gepackt – zurück zu alten Tugenden!
    (und frische Socken)
  5. Generalproben sollen ja angeblich daneben gehen.

Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Judith vom Club „Tri Star Oelde“, mit der ich mir stets den Frühstückstisch sowie viele Wege teilte und die mich gleich sehr lieb in ihre Gang integrierte. Judith – you rock – alles Gute für den Ironman Frankfurt!
Auch das nehme ich aus dem Kraichgau mit: viele nette neue Bekanntschaften. Und so ist Triathlon, egal wie es ausgeht, immer wieder ein großartiges Erlebnis.

 

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