…aka. ich bin uncool, weil ich nur beim Open Race am Start bin
Es scheint sich in der Planung meiner Mitteldistanzen ein Trend abzuzeichnen: letztes Jahr war ich bei meiner Premiere in Zell am See am Start, wo am Tag nach meinem Rennen die Ironman 70.3 Weltmeisterschaft abgehalten wurde. In diesem Jahr sollte es die Challenge Walchsee-Kaiserwinkl in Tirol sein, bei der zeitgleich zum offenen Rennen (für Lulus wie mich eben) auch die ETU Europameisterschaft der Mitteldistanz stattfand.
Zufall (hab ich beim Anmelden nicht gesehen)? Ansporn (irgendwann bist du da auch dabei)? Selbstgeißelung (schau dir diese Performances an, du Pfeife!)? Eigentlich hatte mir einfach die Location gefallen und deshalb hatte ich mich hier letztes Jahr angemeldet. Tiroler Berge, schöne Natur, nette Menschen. Oh wie sehr ich diese Naturverbundenheit bald wieder bereute.
Mein Hotel war ja wirklich super, aber leider direkt neben dem Kuh-Highway gelegen. So kam es, dass mich am Morgen nach dem Anreisetag um 6 Uhr früh eine vorbeiwandernde Herde von Kühen mit Glockengeläute aus dem Schlaf riss. „Welcome to Tirol“. Das war wohl mein Weckruf zum Testen der Radstrecke! Gleich nach dem Racebriefing ging es los, ich war super motiviert, die Landschaft war so schön und recht bald wusste ich: diese Radstrecke liegt mir nicht! Generell bin ich ja ein Fan von „Radeln auf Almen zwischen Heidi und Peter“, aber langgezogene, schleichende Anstiege gepaart mit engen Abfahrten sind nicht meine Spezialität. Meine Begleitung, ein Pro am Rad, meinte während der Fahrt zu mir „Ja, auf dieser Strecke musst du wirklich Radfahren können!“. Na toll, da wollte wohl jemand, dass ich gleich wieder meine Sachen packe und heimfahre. Diese Voraussetzungen waren für ein gelungenes Rennen meinerseits wohl weniger förderlich.
Mit dem Wissen, dass das Radfahren begrenzt erfolgreich würde, bereitete ich mich weiter höchst professionell auf das Rennen vor: noch mit dem Rad in der Hand wurde als erstes ein Eis am Hauptplatz gegessen und statt eine kleine Schwimmeinheit in den Tag einzubauen, ging ich die netten Pferde beim Reitstall um die Ecke streicheln. Einerseits dachte ich mir: einen Tag vor dem Rennen wirst du das Rad (oder das Schwimmen) auch nicht neu erfinden. Andererseits sagte ich mir: mein Gott, du Tussi, was ist los mit dir? Fokussiere dich vielleicht mal auf das Rennen? Also wurden dann doch mal die Wechselbeutel vorbereitet und das Rad nochmal geputzt, gecheckt und auf Tussi gestylt. Frauen wissen: manche Events verlangen nach neuen Schuhen – und das Saisonabschlussrennen verlangt nach einem neuen Lenkerband.
Der Bike-Check-In ging für die Nicht-EM-Teilnehmer schnell über die Bühne: während die Schlange auf der EM-Seite vor dem Eingang zur Wechselzone nicht enden wollte, durfte ich auf der Nebenspur entspannt vorbeispazieren und einchecken. Da war es also doch mal für etwas gut, nicht wirklich so gut zu sein! So durfte ich auch noch schneller zum Futtertrog aka. zur Pasta-Party. Die war einfach toll: super Essen, super entspannt und tolle Leute. Da verweilte man gerne ein wenig länger, aber nicht zu lange, ich musste ja heim, denn es galt noch eine essentielle Frage zu klären: welche Farbe darf es diesmal auf den Nägeln sein? Mit dabei hatte ich ja wie immer mehrere Farbtöne, entscheiden konnte ich mich aber nicht. Whatever, beim letzten Saisonrennen kann man bei den Nägeln auch mal was riskieren und einfach mal alle 3 Farben auftragen!
Guten Morgeeeen Raceday! 6 Uhr morgens, die Kühe weckten mich wieder pünktlich, Taylor Swift wurde aufgelegt und der Rennmodus angeworfen! Taylor Swift Musik und Rennmodus … diesen Widerspruch kommentiere ich hier nicht weiter …
Streberhaft hatte ich am Vorabend schon alles zurechtgelegt und so konnte ich entspannt frühstücken. Das Hotel hatte netterweise sogar ein Shuttle zur Wechselzone organisiert, alles easy. Der morgendliche Nebel lichtete sich und die Sonne blinzelte schon zwischen den Tiroler Bergen hervor (ok, ok, das hörte sich jetzt an wie aus einem Frauenroman geklaut. Ich höre ja schon wieder auf).
Ich war entspannt beim letzten Check in der Wechselzone und entspannt am Weg zum Schwimmstart, dort spielte man das Lied „Spirits“ von den Strumbellas … I got guns in my head and they won’t go … spirits in my head and they won’t go. Wenn die wüssten, wie viele Spirits und Guns ich da gerade in meinem Kopf hatte! Ganz so entspannt war ich also doch nicht.
Bald stand ich vor meinem ersten Rolling Start. Die Betonung liegt hier auf „BALD“. Durch die Trennung des EM-Rennens und des offenen Rennens dauerte es über eine Stunde, bis auch ich mal ins Wasser durfte.
Los geht’s – Wasser marsch! Durch den Rolling Start war das Schwimmen extrem entspannt, für mich wohl zu entspannt? In meiner Welt gilt hier ja das Prinzip: wenn du beim Wasserausstieg wie ein Fohlen im Frühling dahintänzelst, bist du entweder brutal stark im Schwimmen oder zu hast nicht wirklich Gas gegeben. Nun ja, die erste Variante scheidet in meinem Fall ja völlig aus, also bleibt nur die zweite Option. Beim Schwimmen hatte ich also schon mal gute vier Minuten liegen gelassen. Zum Glück ging es dann ja auf die triviale Radstrecke. Haha. Beim ersten Wechsel kam ich in den Genuss eines Novums für mich: nette Volunteers, die einem beim Wechseln halfen. Da wurde für einen der Beutel geleert, der Neo abgenommen und eingepackt, Radbrille und Startnummer gereicht – welch Luxus!
Am Rad versuchte ich beim Rausfahren aus dem Ort Tempo zu machen, zum einen um halbwegs cool vor den vielen Zuschauern auszusehen und zum anderen um mein Rad nicht zu blamieren. Auf der ersten der beiden 45 Kilometer-Runden merkte ich die 1.200 Höhenmeter, die es auf der 90 Kilometer-Strecke insgesamt zu bewältigen galt, noch nicht so stark. Viel mehr faszinierten mich die sensationellen Zuschauer: scheinbar war die ganze Umgebung rund um den Walchsee auf den Beinen und vor den alten Bauernhäusern, auf deren Balkonen Trainings-Neos zum Trocknen hingen (sehr lustiger Anblick), versammelten sich alle Bewohner von jung bis sehr alt und feuerten mit Kuhglocken und Ratschen an. Leider geil! Die zweite Runde forderte dafür alles und ich haderte mehr als einmal mit meinen Beinen und der Sinnhaftigkeit der Idee Mitteldistanz-Triathlon im Generellen. Aber ich hatte einen tollen Race-Support am Start, da musste ich Gas geben!
Das funktionierte vor allem in der Ebene zeitweise schon richtig gut, da war ich immer öfter mit einem 38 km/h-Schnitt unterwegs. Es wäre natürlich noch besser gewesen, wenn ich diesen Schnitt mal länger als ein paar Minuten hätte halten können. Auf den letzten 5 Kilometern setzte zum Glück auch noch Wind ein. Für mich gibt es am Bike ja nichts, das mich so frustriert, wie Gegenwind. Man tritt und tritt und tritt, schaut auf die Geschwindigkeitsanzeige und dort steht 19 km/h – in der Ebene. Was soll das? Wer hat das so bestellt? Wo ist mein E-Bike?
Beinahe souverän ging es in den zweiten Wechsel, bei dem ich die nette Helferin im Wechselzelt sichtlich überforderte, traditionell hatte ich nämlich meinen Lipgloss im Run-Bag eingepackt. Während ich meine Schuhe anzog fragte sie mich entgeistert: den brauchst aber nicht wirklich, oder? Ich entgegnete mit einem breiten Grinsen nur: Na unbedingt!
Mit Lipgloss und farblich abgestimmten Haarband ging es auf die Laufstrecke, den Vorsatz „Geht schon – 5:00er Schnitt“ stets vor Augen. Leider hatte ich bei diesem Vorsatz die Laufstrecke nicht berücksichtigt. Statt Ponys zu streicheln, hätte ich diese wohl mal ablaufen sollen, denn sie hatte es in sich. Zunächst ging es ja entspannt am Seeufer entlang, da konnte ich auch locker unter der 5:00 Minuten-Pace bleiben. Doch dann kam die erste Steigung und ich dachte mir nur „Hui … und das Ding muss ich vier Mal rauflaufen“. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass es nicht die einzige Steigung bleiben sollte. Zu allem Überdruss war auch meine supertolle Uhr wieder ausgefallen. Die erste Runde wurde also rein nach Gefühl absolviert und dieses Gefühl sagte mir recht bald, dass das „5:00er Schnitt-Vorhaben“ nicht halten würde. Diese Laufstrecke verlangte mir wirklich alles ab und ich wünschte mir in einem Rennen die Labestationen noch nie so sehr herbei wie hier. Normalerweise neige ich ja dazu, die eine oder andere Labe auszulassen, aber diesmal war es stets der Gedanke an das nächste Cola, der mich bei Laune hielt. Ich muss zugeben, dass ich auch mehr als einmal den Wunsch hegte, statt auf die nächste Laufrunde einzubiegen lieber nach links Richtung Ziel zu hopsen. Dort machten die Zuschauer so richtig toll Stimmung und ich dachte mir nur: oje, bis ich dort ankomme, bauen sie vielleicht den Challenge-Zielbogen wieder ab?
Subjektiv betrachtet fühlte ich mich nämlich ziemlich langsam und ich versuchte die meiste Zeit überschlagsmäßig nachzurechnen, wie lange ich schon auf der Laufstrecke war. Danke, Uhr – das brauchte der Matheprofi ja während des Laufens. Anstrengend genug, dass ich die Runden proaktiv zählen musste, weil es keine Armbänder gab. Auf der letzten Runde wollte ich nochmal richtig Gas geben, zumindest so gut es noch ging. Zu meinem Entsetzen wurde aber die erste Labe schon abgebaut. Der nette Herr hinter dem letzten Tisch sah wohl meinen verzweifelten Blick und meinte nur: ich hab keine Becher mehr, du müsstest aus dem Behälter trinken. Na gut, das war jetzt keine Option für mich, also keine Labe mehr auf der letzten Runde, denn die letzte Station kurz vor dem Ziel wollte ich aus Zeitgründen auslassen. Ich würde es ja überleben, doch die Athleten, die noch mehrere Runden zu absolvieren hatten (und das waren noch einige!), taten mir leid.
Zieleinlaaaaauf! Da war er plötzlich! Die letzten 300 Meter lief ich irgendwie in Trance und wie auf Schienen, getragen von den Zuschauern und dem Gedanken „Es ist nicht mehr weit – you made it – keep smiling!“. Egal, ob Challenge oder Ironman-Renen, egal welches Label auf der Veranstaltung klebt und welche Farbe der Teppich hat: diese Momente sind magisch! Egal, wie oft man mit sich, seinen Armen, Beinen, Zehen oder der Frisur gehadert hat: jede Mühe ist durch das Gefühl, es geschafft zu haben, wie verflogen. Da weiß man wieder, warum man diesen Blödsinn macht.
Da darf man sich dann auch mal ein winziges Stück Torte nach dem Rennen gönnen, vor allem, wenn man sogar schneller war, als einige EM-Teilnehmer. Die Wertung zum offenen und EM-Rennen wurde trotz der strikten Trennung im Vorfeld dann doch gemeinsam vorgenommen. Da es für meine Age Group somit nur eine Wertung gab: kann ich jetzt also sagen, dass ich auch bei der EM dabei aka. cool war? Auf der Medaille ist es zumindest auch so eingraviert (ich hab gefragt, hab die richtige bekommen). Also wenn ich mal regulär und von Anfang an zu einer EM darf, also dann ist die Zeit definitiv wieder für ein schönes Lenkerband reif … oder für Schuhe.