Wenn am Sonntag um 07:50 Uhr der Wecker läutet und es draußen wie aus Eimern schüttet, stehen einem einige Optionen frei, mit dieser Situation umzugehen:
a) Sich denken „WTF?“, den Snooze-Button betätigen und ein bisschen weiterschlafen
b) Sich wirklich denken „WTF?“, Snooze-Button komplett abdrehen und weiterschlafen
c) Aufstehen und den Kleiderschrank umräumen
d) Aufstehen, lang frühstücken und dabei die ersten beiden Staffeln von „Sex and the City“ ansehen
e) Ein Training auf der Rolle in Erwägung ziehen aber doch Option b) wählen
Oder … ooooder man steht auf, denkt sich „WTF“ und macht sich für den lustigen Sonnenlauf Halbmarathon in St.Veit bereit, dessen Namen man in dieser Situation als echte Farce empfindet. Entschuldigung, als in Social Media vertretener Möchtegern-Athlet hätte ich hierzu natürlich als erstes ein strahlendes Selfie mit dem Hashtag „es-ist-ja-so-unglaublich-geil“ oder „Raceday-yeah-ich-freu-mich-so“ posten müssen. Did not happen.
Aber ich hatte gesagt, ich partizipiere in diesem Rennen und dann wird auch partizipiert. Durch die kurze Anreise und die günstige Parksituation kam ich wie gewohnt nicht zu früh an, war auch gut so, denn komplett nass herumzuwarten wäre nicht sehr förderlich gewesen. Die Gehfäden wollen sonst ja gar nicht mehr mitmachen. Entgegen des Vorjahres hopste ich sogar ein wenig herum aka. ich wärmte auf, wohl auch deshalb, um zu entscheiden, wie viele Schichten ich im Rennen wirklich anlassen sollte. Das war an diesem kalten Tag ja eine wirkliche Gradwanderung (welch Wortspiel!). Fünf Minuten vor Start reihte ich mich im Startbereich ein und begann meine Uhr einzurichten (früher geht das irgendwie nicht, weil sie sonst in den Standby-Mode springt und das Ganze dann wieder von vorne zu starten ist). Die Uhr. Diese Uhr!
Just an diesem Tag wollte sie partout den Satelliten nicht finden. Der Countdown zum Start wurde über die Lautsprecher runtergezählt und die Drecks-Uhr suchte immer noch. Kein Satellit – keine Pace – kein Plan – kein Idealszenario für zum Overpacen neigende Einhörner in Pink. Start – ich noch immer ohne funktionierende Uhr, aber gelaufen musste ja trotzdem werden. Dann eben nach Gefühl und dem MP3-Player. Ja, die Alte läuft mit Musik und solange es mir nicht laut Reglement dezidiert verboten wird, behalte ich das so bei – bin ja auch ein verdammter Amateur!
So hielt ich mich eben an die letzte verbliebene elektronische Unterstützung und zum Glück hatte ich mir beim Soundtrack diesmal viel Mühe gegeben, denn was hätte auf dem ersten Kilometer besser passen können als Ironmaiden mit „Be quick or be dead“. So viel zum Overpacen, Dank des Soundtracks startete ich laut der Uhren der Kollegen rund um mich mit einer Pace von 04:20 ins Rennen. Das würde ich, Ironmaiden hin oder her, nicht lange überleben, also nahm ich das Tempo raus. Irgendwo bei Kilometer 2 oder 3 war sie dann endlich da, die gute Uhr. Hatte auch kaum gedauert. Den ganzen Überblick über Zeit und Kilometer hatte ich so zwar dennoch nicht mehr, aber wenigstens die Durchschnittspace war da. So ging die Regenschlacht heiter weiter, noch nie waren mir Labestationen so egal gewesen wie bei diesem Rennen, immerhin gab es keine Wärmflaschen oder ähnliches. Die Wasserversorgung funktionierte von oben auch einwandfrei. Auf der ersten Runde fühlte ich mich auch sehr gut und sehr schnell, die Pace von 04:40 konnte ich mühelos und recht konsequent halten. Brave Gehfäden!
Ab Kilometer 14 wurde es dann ziemlich mühsam und ich begann mit einer bis dato ungewohnten Atemnot zu kämpfen. Es fühlte sich so an, als würde ein Zementsack auf dem Brustkorb liegen und ich fragte mich, ob ich das Sportbustier um 3 Nummern zu klein gekauft hatte oder ob ich jetzt innerhalb von wenigen Minuten zum Kettenraucher geworden war. Die Kurzatmigkeit nahm immer mehr zu und ich fragte mich immer häufiger „wer bin ich und was mache ich eigentlich hier?“, während die Pace weiter langsamer wurde. Bei einer Unterführung bekam ich beinahe einen Herzinfakrt, da ich dachte, ein Predator oder Ork sei hinter mir her, weil ein lautes Röcheln von den Wänden widerhallte. Dabei war das mein eigenes Atemgeräusch. Was war hier los? Ich hatte keine Ahnung, wollte das Rennen einfach ins Ziel bringen und dann in Ruhe kollabieren.
Ich hoffte, dass mich meine motivierende Playlist am Leben halten würde, doch sogar die Songs, die sonst nie fehlen dürfen, gingen mir zeitweise irgendwie auf die Nerven, weil ich so am Ende war. Dann kam Woodkids episches Werk „Run Boy Run“ und ich dachte mir nur: „Woodkid, alter Freund, halt’s Maul … ich kann nicht mehr … und Boy bin ich auch keiner.“ Ganz offensichtlich musste ich im Soundtrack vorspringen und auf Papa Roach und Linkin Park zurückgreifen. Bei diesen Liedern wurde ich konsequent angeschrien. Es half. Die Pace wurde ab Kilometer 18 wieder besser und ich konnte die Atemprobleme irgendwie in den Griff bekommen … oder verdrängen. Auf wundersame Art und Weise schaffte ich sogar wieder eine Pace von 04:30 und schleppte mich als insgesamt dritte Frau ins Ziel. Zum Glück war es aus! Endlich. Es war zum Schluss wirklich nicht mehr so lustig. Meine Arme konnte ich auch nicht mehr bewegen, waren eingefroren. Generell war ich auch froh, dass es kein einziges Bild vom Lauf gab. Mit meiner röchelnden und verzogenen Fratze hätte man maximal Kinder erschrecken können. Oder auch Erwachsene mit einem Hang zu Ästhetik.
Mama versorgte mich wie immer vorbildlich und meinte später zu mir: „Oje, ich hab gedacht, du kippst im Ziel um!“. Ja Mama, das dachte ich auch.
Das Beste und faktisch die Rettung an diesem Tag kam dann aber erst: Schoko-Sahne-Torte und heißer Tee. Besser konnte ich die Zeit bis zur Siegerehrung aber auch nicht überbrücken. Ok, ich gebe zu, dass zusätzlich noch Einhorn-Plüschslipper ein netter Nebeneffekt angesichts der nassen und kalten Füße gewesen wären, aber ich will hier nicht zu fordernd sein.
Mit 01:39:10 war ich nicht nur die dritte Dame insgesamt, sondern kletterte auch auf den dritten Rang in meiner Altersklasse. Dritter Platz und über 4 Minuten schneller als im Vorjahr trotz Lungen-Fail waren für mich schon sehr ok. Und Preise gab es auch noch! Richtig viele! Medaillen, Jacques Lemans Uhr, Skinfit-Gutschein, Pokal. Das war ja wie Weihnachten! Obwohl … stimmt nicht ganz, ich glaube, zu Weihnachten war es diesmal wahrscheinlich wärmer.
Nachdem diese Atemnot aber doch sehr ungewöhnlich war und ich mich den ganzen restlichen Tag wie ein mehrfach von einem Sattelschlepper überfahrener Putzlappen (oder auf Kärntnerisch: Fetzen!) fühlte, ließ ich mich am nächsten Tag durchchecken und wurde prompt ins Krankenhaus überwiesen. Dort erwog man sogar mich stationär aufzunehmen, da einige Werte tatsächlich nicht im Normbereich waren! WTF! Dafür war ich nicht ausgerüstet – ganz ohne InTouch, Triathlon Magazin und Cosmopolitan! Diese Idee wurde nach weiteren Untersuchungen glücklicherweise wieder verworfen und ich durfte heim. Man verordnete mir aber eine Pause, damit sich die vermuteten Entzündungen im Rippenfell wieder legen. War auch mal nett – so eine Pause. Diese nutzte ich gleich mal, um den erlaufenen Gutschein sinnvoll anzubringen und zu shoppen, denn: nach jeder Pause geht es im Laufschritt ja schon wieder weiter!