… ich habe heute kein Foto für dich …

Instagram! Du brauchst einen Instagram-Account! Schau dir doch mal die tollen Bilder auf Instagram an. Genau, das braucht die Welt – einen weiteren „schaut, wie sportlich und toll ich bin“-Account auf Instagram mit kaum gestellten und vollkommen realitätsfremden Bildern. Dank der Tratsch- und Klatschmagazine bin ich ja trotz fehlender Instagram-Präsenz stets am Laufenden, denn da werden ja immer Auszüge der aktuellen Fitnessstars und Influencer präsentiert.
(Frage am Rande: ist das „Berufsbild“ der Influencerin nun eigentlich die Spielerfrau 2.0?).
Als doch recht brav und hart trainierender Mensch fallen einem beim Studium der Work-Out-Bilder so gleich folgende drei Punkte auf:

  • Wer steht denn beim Trainieren so wunderlich da?
  • Wer sieht generell so gestriegelt beim Trainieren aus?
  • Und warum schwitzen diese Menschen nie?

Ich habe mir daraufhin an einem Regenerationstag mal wirklich die Zeit genommen und eines dieser kaum gestellten Sport-Selfies inszeniert. Abgesehen von der Zeit, die für das Styling draufgeht, kommt man sich beim Posieren im Trainingsoutfit auch wie ein Vollidiot vor. Es gilt so zu stehen und das Bein so zur Seite zu drehen (natürlich auf den Zehenspitzen), dass das Bein nicht nur schlank, sondern so athletisch wie möglich aussieht. Aha. Ich persönlich habe mir beim Posing für diesen leger anmutenden und kaum künstlichen Anblick beinahe einen Bänderriss zugezogen. All dieser Stress nur um seine Schokoladenseite zu zeigen … what a waste of time! In der Zeit, die man für das Erhaschen eines passablen Bildes braucht, hätte ich eine richtig gute Trainingseinheit absolvieren können … oder häkeln lernen.

Und unterm Strich ist das Bild ja nicht mal Instagram-würdig, denn:

  1. Es steht sicher irgendwo ein Haar ungünstig ab.
  2. Ich bin zuvor weder ins Solarium gepilgert, noch in eine Wanne mit Selbstbräuner gestürzt.
  3. She’s wearing a scrunchie.
  4. Es fehlen die Cameltoe-Sportleggings, die bis über den Bauchnabel gezogen wird, damit man kein Muffin-Top sieht, und das passende Cropped Top/Bustier dazu (das waren jetzt schon beinahe zu viele Insider-Termini …einige Männer müssen jetzt sicher googeln).
    Denn das trägt man jetzt ja so … ja, alle tragen das jetzt so. Wieso zieht die Alte da denn schon wieder nicht mit… #uncool
  5. Ich habe keinen Photoshop und auch keine der diversen Apps, mit denen man sich auf Victoria’s Secret Niveau hübschen kann.
  6. Man hätte wohl von unten nach oben fotografieren müssen, damit die Beine länger aussehen. Aber ich hatte keinen Bock mehr. #BockbeatsGiraffe

Jetzt im Ernst: wenn ich trainiere, wirkt es eher als würde ich gerade gebären oder an den „Hunger Spielen“ partizipieren. Da sitzen die Haare eben nicht mehr. Man sieht nicht happy aus. Beim Trinken hat man sich vielleicht auch schon angeschüttet und man fragt sich weniger, ob das Posing denn jetzt wohl hoffentlich toll aussieht, sondern viel mehr, ob dass denn ernsthaft erst die erste von drei Serien dieser Übung war. Das ist die Realität.

Es gibt seitenweise Anleitungen für das perfekte Selfie, das ideale Posing auf Instagram, Tutorials, wie man sich auch noch die letzte Pore wegschminken und mit Contouring sein Gesicht völlig entfremden kann (toll, wenn man sich bei den Fotos dann selbst denkt: „Scheiße, wer bist du denn? … das passiert für gewöhnlich doch nur morgens beim Blick in den Spiegel). Aber wann man einen Beistrich (für unsere deutschen Freunde: ein Komma) setzt oder wie man die Wörtchen „seid“ und „seit“ korrekt verwendet, scheint vollkommen irrelevant geworden zu sein. Aber wozu soll man das auch wissen. Es gibt doch Hashtags! Mit diesen kann man doch alles ausdrücken, was das sprach- und literaturwissenschaftliche Herz begehrt … ein Auszug:

#sport
#race
#bike
#road
#grueneWiese

Ohne diese Hashtags hätte das Bild auch niemand korrekt deuten können. Niemand. Und ohne entsprechender Hashtags hätte es auch wohl niemand online gefunden. Somit wären die ganzen Trainings oder Rennen umsonst gewesen. Vollkommen umsonst. Denn: wofür macht man es denn, wenn man es nicht anderen unter die Nase reiben kann?!
#seriouslythisiscompletebullshit

Ja, mir wurde gesagt, dass es mit meinem Blog ohne Instagram wohl nie etwas werde. Wahrscheinlich wäre ich in der Tat auch mit einem Instagram-Account zu den Themen „Lustige Hüte aus Plüschdraht“ oder „Die besten Kratzbilder aus der Sendung ‚Schwiegertochter gesucht‘“ erfolgreicher. Aber als Fan des Schreibens und sinnerfassenden Lesens bin ich für Instagram ohnehin zu retro. Und das ist auch gut so. #punkt