Ironman 70.3 Zell am See – Raceday.

Top geschlafen … ganz top… not. Ab drei Uhr früh alle 10 Minuten das gute alte Spiel, das mir schon vor Jahren im Rahmen der Diplomprüfung ein bekanntes war: is it time yet? Tagwache schließlich um 4 Uhr früh – super fresh und motiviert. Ja, das traf sogar wirklich zu. Durch die perfekte Vorbereitung am Vorabend lag auch schon alles bereit, auch das Müsli war schon fertig gemixt und wartete darauf, mit in den Frühstücksraum genommen zu werden. Ja, auch wenn ich sonst wie ein verwirrter Lulu wirke, Anfängerfehler wie „Oh, Lebensmittel XY kenne ich noch nicht. Das probiere ich mal vor dem Rennen aus. Habe in einschlägiger Fachliteratur gelesen, dass dies das ideale Verhältnis von Eiweiß zu Kohlenhydrat aufweist!“ mache ich nicht. Daher hatte ich mir mein Renn- und Trainingserprobtes Müsli mitgebracht. Der ganze Aufwand war aber eigentlich umsonst, denn während ich im Frühstücksraum um mich blickte und alle anderen Athleten in Mähdrescher-Manier ihr letztes Morgenmahl zu sich nahmen, kämpfte ich hart mit meinem Müsli. Nix wollte runter. Euphorisch hatte ich im Vorfeld noch ein Brötchen und Obst zurechtgelegt. Keine Chance. Mit sehr viel Mühe war das Müsli im Magen, teilweise hatte ich aber das Gefühl, dass es dort nicht zwingend länger verweilen wollte. Ich war davon überzeugt, dass irgendein Busch auf dem Weg zum Start von meiner unverdauten Portion Müsli als Dünger profitieren würde. Das schöne Brötchen (für die Kärntner unter uns: Vollkorn-Weckale … yeey) mit Butter blieb am Teller, gleiches galt für die halbe Nektarine. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Rennen angesichts dieser Esserei, oder eben Nicht-Esserei, überstehen sollte. Der Lipgloss wird’s schon richten. Sehr smarter Ansatz.

Zurück im Zimmer schälte ich mich schnell in den Trisuit. Letzter Check der Street-Wear-Bag und generell von allem Zeugs. Draußen war es immer noch nicht hell und als ich die Türe des Hotelzimmers abschloss, wusste ich: it’s time. An der Rezeption wünschten alle viel Glück (mei, die Leute waren aber auch so nett!) und – no kidding – in dem Moment, als ich durch die Lobby zum Ausgang ging, wurde im Radio das Lied „Final Countdown“ gespielt. Danke „Europe“.

Der Weg zur Wechselzone war ein einsamer. Für eine gewisse Zeit dachte ich, dass ich entweder zu früh, zu spät oder in der falschen Richtung unterwegs sei, weil kein Mensch zu sehen war. Da waren also nur ich, die Street-Wear Bag, der Neopren, die Pumpe und leuchtende Straßenlaternen. Die Büsche wurden übrigens doch nicht gedüngt, was mich selbst schon sehr überraschte. Dann endlich: Menschen! Immer mehr Menschen! Das Flutlicht der Wechselzone war auch schon zu sehen. Sehr gut, ich war also doch richtig hier. Hektik pur! Bei allen. Außer bei mir. Lustig eigentlich. Irgendwann kommt ja immer der Punkt, an dem ich entspannt werde. Das Rad war auch noch da und ja, ich habe es auf Anhieb gefunden. Das klingt im ersten Moment vielleicht nicht so sensationell, aber wenn man mal den Umfang einer Ironman-Wechselzone gesehen hat und vor allem, wenn man weiß, welche geistigen Höchstleistungen ich für gewöhnlich zwischen 5 und 6 Uhr früh vollbringe (nämlich keine…. absolut keine), dann ist das stark! Find your bike – eines von 2000 ist deines!

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Also stand ich da, Rad gestreichelt und durchgecheckt, elegant im „RTL II Trümmer-Frauen-Schick”. Es war, ja diese Worte kommen jetzt von mir, nicht der Zeitpunkt für Styling’n’Stuff. Man merkt also: ich war wirklich sehr entspannt. So habe ich auch den panischen Britinnen links und rechts von mir die Pumpe geliehen. Auch wenn am Vortag noch getönt wurde: es braucht kein Athlet die Pumpe mitzunehmen, denn a) darf beim Bike kein Equipment liegen bleiben und b) gibt es genügend offizielle Pumpen, die zur Verfügung gestellt werden. Ja eh. 2 (in Worten „zwei“) Pumpen hatte ich gesehen, vor jeder entstand eine Schlange von rund 30 Athleten.

 

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Rad done (ein Fragezeichen stand immer noch hinter dem Tacho: wird er überhaupt anspringen oder nicht? Muss ich mich rein auf die Uhr verlassen? Wenn er nicht funktioniert – again – schmeiß ich den Krempel runter, die 40 Gramm ineffektiver Ballast machen dann nämlich den Unterschied … so wie ich fahre!), Run-Bag noch mit den Schuhen bestückt, gelacht, als man im Beutel den Platzhalter-Lipgloss fand, wieder verstörte Blicke geerntet, auf die Uhr gesehen und gedacht: ui, lang ist‘s nicht mehr! Also Neopren angezogen und dabei überlegt, wie man denn jetzt in der Wechselzone agieren werde. Visualisieren ist da ja bekanntlich ganz wichtig. Aber es war zu früh für sowas, echt. Ich dachte mir: es wird sich dann schon alles ergeben/oder ich mich übergeben, im Zweifel kann man immer noch sagen: ich wollte es Jan Frodeno gleichtun und einen Wechselzonen-Fail liefern, weil das jetzt cool ist und man das so macht (immerhin ist der Mann mittlerweile Ironman-Europa und Weltmeister, es besteht also Hoffnung!). Ich wurde immer ruhiger, machte mir die Haare schön, gab die Street-Wear-Bag ab und hatte nichts mehr in den Händen als die Schwimmbrille und die Badekappe. Die Traube der Damenstarter sammelte sich vor dem Zugang zum Schwimmstart, einige schmissen wirklich die Nerven weg, einige waren ob massig Erfahrung extrem cool und einige wirkten einfach unfassbar untrainiert. Der Gedanke „Wehe, die Tante kommt durch und ich verloooose das Ding“ war wieder omnipräsent. Wirklich … mir war bis zu diesem Zeitpunkt nicht mal bewusst, dass die Größentabelle für Neoprenanzüge so weit reicht. Bitch-Mode off. Dann ging plötzlich alles ganz schnell: die ersten Startwellen der Herren gingen ins Rennen, wir Damen durften runter ans Ufer und ich bemerkte: es sind echt verdammt viele Mädels am Start! Ein Drittel davon begann sich schon ganz vorne im Wasser einzureihen, zu diesem Drittel gehörte ich, meiner Schwimmperformance sei es gedankt, eher nicht. So blieb ich im mittleren Bereich und lauschte dem Platzsprecher, der die Zuschauer zu Stimmung animierte. Kein Spaß – es waren sehr viele Leute beim Start und die Stimmung super. Und das kurz vor 7 Uhr früh. Blöd nur, dass die hyper-ambitionierten Damen der ersten Schwimmreihe einen Motivationsspruch des Platzsprechers für das Startsignal hielten und wie die Wilden losschwammen. True Story – Fehlstart deluxe! Das Rufen, das Pfeifen, die Durchsagen des Mannes am Mikro waren vergebens, die ersten 50 bis 70 Damen steuerten in Kampfmanier auf die erste Boje zu. Die anderen, im Startbereich verbliebenen Damen und ich schauten uns kopfschüttelnd an und eine Lustige neben mir sagte das, was sich wohl die eine oder andere dachte: „Naja, das haben’s jetzt vom Übereifer … Tepperten … vielleicht werden’s wenigstens müde von den Extra-Metern“. Erst bei der 50m-Boje bemerkte die Meute die Boote der Race-Marshalls, das Gefuchtel und das Rufen und drehten doch mal um. Einerseits blöd, dass sich der „richtige“ Start so noch weiter verzögerte, denn irgendwie wollte ich, dass es endlich losgeht, andererseits nahm es die Hektik raus. Kaum waren die Damen zurück: Startschuss – Brodeln – der erste Ellbogen in meinem Gesicht – der Ironman 70.3 Zell am See aka Saisonhighlight aka persönliche Wiederauferstehung nach der Reha war nun offiziell eröffnet.

Zumindest bei diesem letzten Saisonrennen wollte ich meine Standardfehler, nämlich jene, sich von den anderen guten Schwimmern aus dem Konzept bringen zu lassen, zu schnell zu beginnen und nie den eigenen Rhythmus zu finden, nicht machen. Entsprechend ruhig und nur auf mein Schwimmen konzentriert begann ich und hielt recht gut mit. Dann kam leider wieder der übliche Gedanke auf: yes, ich bin gut dabei, jetzt kann ich ja eine Runde chillen. Sehr klug, danke. Da haben wir ja viel dazugelernt. Sobald der Gedanke gesponnen war und ich mich zu diesem auch noch hinreißen ließ, fiel ich im Feld auch schon zurück. Dann wurde der Speed wieder angezogen, dann chillte ich wieder. So muss es sich wohl für Fahrlehrer anfühlen, wenn sie mit einem Anfänger zum ersten Mal auf der Autobahn unterwegs sind – Tempo halten geht nicht. Ich brauche beim Schwimmen wohl einen Tempomaten. So ging es für 1.400m. Irgendwann, als sich der große Bogen des Schwimmausstiegs näherte, wollte ich aber dann doch noch ein paar Damen hinter mir lassen. Selbst beim Schwimmen scheint sich der Kampfsau-Modus immer häufiger einzuschalten. Außerdem wusste ich: je schneller ich mit dem Schwimmen fertig bin, desto eher komme ich zu den Disziplinen, die ich beherrsche: dem Laufschuhe Anziehen und dem Laufen selbst. Jaja, irgendwann dazwischen sollte noch Radgefahren werden, das hatte ich nicht vergessen.
Schwimmausstieg! Ich hatte keine Ahnung, in welcher Zeit ich das Schwimmen absolvierte, primär versuchte ich frisch und athletisch auf den ersten Metern des Teppichs auszusehen, der in das Wechselzonenzelt führte. Nachdem es aber von dieser Phase des Rennens kein einziges Bild von mir gab, gehe ich davon aus, dass der Plan „frisch und athletisch“ nicht aufgegangen war. Diese gepeinigte Fratze wollte wohl keine Kamera einfangen.
Mit einem Griff hatte ich während des Laufens meinen Bike-Gear-Beutel erhascht – stark! Ich war mir einer guten Wechselzonenzeit sicher. Haha. Neopren weg, Schuhe an (japp, noch immer nix mit: lässig am Bike anziehen), Startnummer an, Helm auf, wichtig: Brille auf. Als ich den Neopren in den Beutel stopfen wollte, sah ich dann meine Socken im Beutel. DIE SOCKEN!!! Blondie hatte die Socken vergessen. Ohne Socken geht aber nix und spätestens beim Laufen waren sie lebensnotwendig für mich. Also mussten die Schuhe wieder runter, während ich mich selbst hart auslachte. Gefühlte 15 Stunden später war ich dann fertig und am Weg zum Rad. Das erste richtige Erfolgserlebnis: Rad von der Stange gehoben, zwei Meter geschoben und schon lief der Tacho. Yes, danke. Ich wurde bescheiden. Der Lauf mit dem Rad an der Seite wird nie meine Lieblingsdisziplin werden, dass ich die 100, 200 Meter bis zur Markierung, an der man aufsitzen darf, ohne Verletzungen und Stürze überlebt habe, wunderte mich. Einen Mitstreiter hatte es zu diesem Zeitpunkt aber schlimmer erwischt, seine Probleme waren weitreichender als das wunderliche Aussehen während des Radschiebens und des Einklickens in die Pedale: der arme Mann war rund 1,23 Meter gefahren und hatte bereits einen zerfetzten Reifen. Ich dachte mir nur: wenn mir das passiert, geh ich heim.

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Am Rad selbst lief es erstaunlich gut, das Tempo war von Anfang an recht passabel , mal überholte ich, mal wurde ich überholt und so steuerte ich auf mein erstes wahres Highlight zu: einmal auf dem Rad mit 52 km/h durch einen Tunnel glühen! Selbst wenn ich das Rennen hätte abbrechen müssen: auf Speed (nein, nicht die Drogen) durch einen Tunnel fahren (dabei meine ich einen richtigen Tunnel auf einer Schnellstraße und keine lapidare, kurze Unterführung) und nur das Surren der Aero-Laufräder um einen herum als Geräuschkulisse – das hat was. Was? 52 km/h? Hatte sie auf ein E-Bike umgesattelt? Wurde sie gezogen? Doch Speed (die Drogen)? Nein, der Tunnel war leicht abschüssig und somit konnte dieser Fabelwert erreicht werden. Sogar von mir.
Als Streber kannte ich ja 80% der Strecke bereits und wusste, dass bald das Hügelchen aka. Hochkönig kommen sollte. Lustigerweise freute ich mich sogar schon drauf, irgendwo musste ich ja vom massiven Kampfgewicht profitieren. Ich fühlte mich noch immer richtig gut und, jetzt kommt ein Satz, der mir im Kontext des Radfahrens eher selten in den Sinn kommt, Achtung: … und es machte wirklich Spaß. Ob es daran lag, dass, egal wie sehr man irgendwo in der Pampa unterwegs war, dennoch immer wieder Zuschauertrauben mit Motivation aufwarteten, oder dass ich auch mal Leute überholte und nicht immer nur überholt wurde, oder dass die Geschwindigkeit recht ok war und ich mir immer weniger Sorgen um den „Besenwagen“ für die sehr langsamen Leute machte? Ich denke, es war wohl der Mix aus allem. Ein paar Kurven, Abfahrten und kleine Anstiege später, begann sich die Straße langsam und stetig neben einem Gebirgsfluss nach oben zu winden: da war sie dann endlich – die rund 12 km lange Bergetappe des Hochkönigs. Jawohl – the switch is wieder on. Jetzt hieß es Kräfte einteilen, vielleicht ein wenig Tempo rausnehmen und in den weniger steilen Passagen ja nicht das Tempo anziehen, denn das Stück mit 14% Steigung sollte ja erst am Schluss kommen.

Im Vorfeld wurden mir ja Schauermärchen erzählt, die einem ja wirklich die Laune hätten verderben sollen. Von kotzenden Athleten, über Aufgaben, Absteigen und Schieben, Tränen – alles hatte ich schon gehört. Aber ich glaube, die Geschichten haben einen Wahrheitsgehalt von 100% und sie wundern mich auch nicht! Auf den ersten 8 Kilometern wurde ich fast permanent überholt, wie auf Schienen zogen Damen und auch Herren an mir vorbei (ich sollte sie aber alle wieder treffen). Die einen mit gequältem Gesichtsausdruck, die anderen mit (aufgesetzt?) cooler und unbeeindruckter Miene. Im Normalfall ist dies der Moment, an dem mich die Zweifel überkommen oder ich mich mitreißen lasse (ohne jede Rücksicht auf Kräftemanagement … und dann richtig fett ablosen, weil man ja eigentlich nicht so viel Saft hat). Diesmal behielt ich aber die Nerven und das Bergdorf, durch das man fahren darf, inklusive Labestation war schon gekommen. Wasser schön im Strampeln nachgefüllt, angesichts der Tatsache, dass ich das Befüllen der Lenkerflasche während des Tretens auf einen Berg nie geübt hatte, machte ich das sehr souverän. Zugegeben ist das jetzt auch keine Raketenwissenschaft, aber ich denke, ich sah cool und routiniert dabei aus. Check.
Es näherte sich der spannende Teil, die letzten 2 Kilometer mit ordentlicher Steigung. Vor mir wurde es eng, das Feld war an dieser Schlüsselstelle mehr als dicht gedrängt. Plötzlich war mir klar: die Geschichten sind wahr. Viele Athleten schimpften vor sich hin, ein paar stiegen wirklich ab und machten Pause oder schoben das Rad (sicher auch ein Spaß mit Radschuhen über 2 Kilometer … bergauf). Und ja, es waren auch wieder fast alle mit im Pulk, die mich vor ein paar Kilometern noch überholt hatten. Sie sahen auch nicht sehr glücklich aus. Ich hatte aber Spaß. Die überhebliche Alte unterhielt sich auch noch mit anderen und den Emergency-Gang brauchte sie auch nicht. Ok, natürlich war ich nicht im Dani Ryf-Tempo unterwegs, aber schon recht zügig und ich wusste: jaja, die Zeit, die du jetzt gut machst, verlierst in der Ebene eh wieder. Ha.
Die mir bereits bekannte Abfahrt mit 15% Gefälle kam gleich im Anschluss und ich erwartete eine peinlich Bremserei und ein Flehen nach einem Rad mit Rücktritt. Aber, und das war wirklich ein Augenöffner, es gab Leute, die noch angsterfüllter hinunterkrochen. Im Endeffekt fuhr ich nämlich sehr souverän, sicher und schnell die Serpentinen hinab. Hier gilt der Dank dem Radclub Althofen, der mich in den Sommermonaten immer in die Montagsausfahrt integrierte und mit mir Fahrtechnik-Training absolvierte. Es trägt sogar Früchte!
Der nächste Abschnitt der Radstrecke lief eigentlich ganz gut und ich wurde weniger oft überholt, als ich es befürchtet hatte. Teilweise war ich mir sogar einer Radzeit um die drei Stunden sicher. Jaja, hat sie gedacht, dann kam nämlich Kilometer 70 und nachdem man durch den Ort Zell am See durch war (da musste man natürlich nochmal Speed machen, denn es waren viele, viele Leute da und man wollte natürlich schnittig aussehen), kam der Streckenabschnitt Richtung Kaprun, den ich im Vorfeld noch nicht abgefahren war. Hier schlug natürlich der obligate Hänger zu. Irgendwann musste er ja kommen. Die Gedanken zwischen Kilometer 70 und 82: „Wo geht es denn da jetzt hin? Bin ich immer noch nicht fertig? Ist’s noch weit … Trottel … sicher ist’s noch weit … 90 km! Geh … echt jetzt. Naja, treten wir halt weiter …“. So motiviert und voller Esprit wie diese Gedanken waren dann auch die Beinchen und der Tempo-Schnitt sank. Es kam eine Wende und eine Labestation, die ich ausließ, weil ich mir dachte: für die tepperten 15-20 Kilometer wird das Getränk noch reichen. Das Schöne bei solchen Rennen sind aber nicht zuletzt die Menschen, die einem im und um das Rennen begegnen und so geschah es just nach dieser Labestation, dass ein netter amerikanischer Athlet, der offensichtlich bemerkte, dass ich ein wenig mit der Gesamtsituation unzufrieden war, rief: „C’mon Nicole, go go go!“. Es ist schon irgendwie lustig: irgendein Dude sieht deine Troubles, liest deinen Namen unter der Startnummer, schreit dir das zu, während er eh selbst mit sich, seinem Elektrolytgetränk, der Hitze, der Welt und sicher nicht seinem Lipgloss kämpft, und plötzlich läuft es wieder, weil man sich denkt: naja, hat er eigentlich recht. Guter Mann! Das Tempo stieg wieder an und bald durfte ich mich zwischen Menschenmassen durch Zell am See Richtung Wechselzone schlängeln.

Runter vom Bike und ich dachte mir: boah, krass … das war eh schon?! Irgendwie lief ich wie auf Schienen zu meinem Platz, hängte das Bike ein und ja, ich streichelte es und sagte „Danke, Radl! Brav warst!“. Ich joggte nun zu den Wechselbeuteln, was in Radschuhen ohne Rad sicher noch belämmerter aussah als mit Rad in der Hand, und musste diesmal ein wenig herumsuchen. Insgesamt gesehen dauerte das aber auch nicht länger als das Lachen über mich selbst. Also war auch hier alles im grünen Bereich. Memo an mich: ich sollte es wirklich mal lernen, die Schuhe wenigstens am Rad auszuziehen, sonst wird das aus ästhetischer Sicht nie was. Mit dem Beutel in der Hand dümpelte ich weiter in das Wechselzelt. Dieser Wechsel war super schnell, so schnell, dass ich trotz des Ellbogens, den ich von dem hektischen Herrn neben mir elegant ins Gesicht bekam, immer noch Zeit für den Lipgloss hatte. True Story. Er wurde aufgetragen und die entgeisterten Blicke der anderen waren einfach sensationell. Ich stellte nur dieses Statement zur allgemeinen Erläuterung in den Raum „So what? It is a moisturizer and sun protection as well!“ und galoppierte los. Die Beine waren frisch und so startete ich mit einer netten Pace unter 5 Minuten auf die Laufstrecke. Auf dem ersten Kilometer machte ich mir auch den Zopf neu, denn die Haare sollten schließlich auch schön sein. Zugegeben hatte ich das aber im Vorfeld beim Laufen öfters geübt. Primär aus Zeitnot. Bin ja kein Freak. Das war jetzt eine Lüge (nicht der Satz mit der Zeitnot).

Es ging wirklich gut dahin, entlang der Seepromenade unterhielt ich mich auch nett mit einer anderen Athletin aus Großbritannien, als es dann aber in den Ort Zell am See ging, hatte ich sie aber irgendwo verloren. Egal. War ja auch keine Kaffeefahrt. Der Streckenabschnitt im Ort war einfach nur sensationell, viele Zuschauer, Wahnsinnsstimmung, genau so stellt man sich das vor. Dann ging es wieder aus dem Ort raus und ich merkte wie fürchterlich heiß es geworden war. Am Rad war es, insbesondere in den Bergen, ja nicht wirklich so heiß, wie immer kommt die Hitzkeule ja erst in den Laufschuhen. Die Pace war weiterhin ok, aber ich drosselte das Tempo ein wenig, weil ich einfach nicht einschätzen konnte, wie weit die Kräfte noch reichen würden. Als ich so dahinlief, dachte ich mir bei km 8 schon mal „Ui, es ist doch noch recht weit!“. Ich konnte also weiterhin aufs Gas treten und eventuell jämmerlich am Wegesrand kauernd eingehen oder gechillt das Rennen heimbringen und dafür eben ein wenig Zeit liegenlassen. Aufgrund der mangelnden Erfahrungswerte entschied ich mich für den chilligen Ansatz. Es sollte ja auch weiterhin Spaß machen. Unterwegs war dann auch mein Racesupport Christian wieder an der Strecke und ich musste ihn im Vorbeilaufen natürlich als erstes fragen: „Bin ich schon letzter???“ … ich war es nicht … noch lange nicht.

Mittlerweile war ich auch auf der anderen Seeseite und der Wende angekommen, an der wieder super Stimmung, viele Leute und ein Platzsprecher für eine Extraportion Motivation sorgten. So ging es wieder zurück nach Zell am See downtown und ich war immer noch gut drauf, wenngleich die Pace ein wenig langsamer wurde. In Zell am See waren die Kilometer in der Altstadt wieder sensationell von Zuschauermassen gesäumt und so gepusht nahm ich mir mit meinem zweiten Band am Arm die letzte Runde vor. Meine Taktik war es nun, in der ersten Hälfte das Tempo so zu halten und dann auf den letzten 5-6 Kilometern nochmal auf die Tube zu drücken – getreu dem Motto: mal schauen, was dann noch geht. Irgendwie zogen sich die Kilometer bis zur Wende am anderen Ufer aber ziemlich und immer, wenn mir andere Athletinnen, die sich bereits am Rückweg und ergo Richtung Ziel befanden, entgegen kamen, machten sich Anflüge von Tourette in meinem Kopf breit. Wieso waren die auch schon alle so viel weiter als ich?! Die hatten bestimmt alle ein E-Bike und waren dadurch schon viel früher auf der Laufstrecke unterwegs. Es musste einfach so sein, mein Ego brauchte diese Erklärung. Endlich kam die Wende, bei der übrigens an einer der Labestationen Red Bull ausgeschenkt wurde. Ich dachte mir, wenn ich da jetzt auch nur einen Schluck nehme, kippe ich mit einem Herzinfarkt einfach um. Ergo wurde die nächste Labe mit Wasser genutzt, wenngleich das meiste Wasser am Kopf landete. Es war wirklich, wirklich heiß. Nach dem Rennen sollte es mir nochmal bewusst werden – anhand der Brand- und Scheuerwunden vom Reißverschluss am Trisuit. Während des Rennens merkte ich von all dem aber nichts – ich war in der Phase, in der man so mit Adrenalin vollgepumpt ist, dass einem wohl ein Körperteil abfallen oder noch schlimmer, ein Fingernagel abbrechen könnte und man würde es nicht merken.

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Ich war nun bereits am Weg zum Ziel, noch rund 5 Kilometer to go resp. to run. Jetzt wollte ich wissen, was noch geht. Und es ging wirklich noch schneller. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie lange ich schon unterwegs war, weil ich das Schwimmen überhaupt nicht einschätzen konnte, aber ich wollte unter 6 Stunden bleiben und hätte mir massivst in den Hintern gebissen, wenn ich ein Beschleunigen nicht wenigstens versucht hätte. Rund 3 Kilometer vor dem Ziel erblickte ich vor mir die nette Athletin, die mir beim Bike-Check In am Tag davor so toll und beruhigend unter die Arme gegriffen hatte. Ok, ich hatte mir ihren Namen und die Startnummer gemerkt, denn jetzt noch jemanden am Haarschnitt und der Wadenkontur zu erkennen, war einfach nicht drin. Ich rief ihr von hinten zu „Go go go Michi!“. Sie erwiderte, sichtlich geschlaucht: „I can’t go anymore!“. Das war für mich keine Antwort und so musste ich ihr, als ich mittlerweile gleichauf war, sagen: „Aber geeeeh! Sicher kannst!!!“ Da erkannte sie mich auch, lachte, wir klatschten ab und sie rief mir zu „Jawohl, bring es heim!“. Dieses Treffen war übrigens einer der tollsten Momente im Rennen – zwar ist man ja Konkurrent, aber irgendwie auch wieder nicht, sondern eher Verbündeter/gleichgesinnt Wahnsinniger. That’s the spirit of Ironman! Anyways, Recht hatte sie! Bringen wir das Rennen heim! Gesagt – getan – und ich zog davon. Die letzten hundert Meter zum Ziel durch das Ortszentrum waren magisch und schon beinahe zu kurz. Zu wissen, es gleich geschafft zu haben, gleichzeitig wildfremde Menschen, die deinen Namen rufen, die dröhnende Musik aus dem Zielbereich, die einem bereits entgegen kam … es waren schon fast zu viele Eindrücke. Aber langsamer zu laufen, um das Ambiente besser aufsaugen zu können, war jetzt auch keine Option.

In die Zielgerade eingebogen und den ersten Fuß auf den berühmten Ironman-Teppich gesetzt – und es begann ein Wechselbad der Gefühle. Das zu beschreiben… puh… das ist sehr schwer. Zum einen, weil es mir leichter fällt, einen Complete-Fail ausschweifend zu erörtern, und zum anderen, weil man dieses Gefühl selbst erleben muss, um es zu verstehen. Es war fürchterlich emotional und als ich dann durch den Zielbogen eierte, die Medaille um den Hals bekam und dann auch noch Måns Zelmerlöw mit “Heros“ gespielt wurde, war es komplett vorbei. Måns auch noch!!! Wie geil war das denn? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so emotional war, ich griff mir 4 Flaschen Wasser und setzte mich im Finisher-Bereich in den Schatten, dachte an all die Strapazen, die der Weg zum Rennen mit sich brachte, die Leute, die sagten, dass ich es nicht schaffen würde (IN YOUR FACE!!!!), an die Rückenoperation, die gerade mal ein Jahr zurück lag, an all den Ballast, der von den Schultern gefallen war. Zum Glück hatte ich stets die Sonnenbrille auf, sonst wäre die coole Fassade noch gebröckelt. Als ich die Fassung wieder erlangte, machte ich mich auf den Weg, um meine Streetwear und mein Finisher-Shirt zu holen. Das ging definitiv recht langsam vor sich, aber irgendwann war es mit schnellen Moves ja auch genug für diesen Tag. Mein Racesupport Christian wartete auch schon auf mich. Ihm gilt mein größter Dank, egal wo – er war immer irgendwo an der Strecke und feuerte mich an (und machte Bilder! Einige Photo Credits gehen also an ihn!). Zum ersten Mal realisierte ich dann auch, als er mir meine Splitzeiten sagte, dass ich unter 6 Stunden geblieben war. Whaaaaat????? Und dann war man schon wieder emotional. Langsam wurde es peinlich. Nur nicht die Sonnenbrille absetzen! Irgendwann war es aber auch genug – ab zum Finisher-Shirt. Die meisten Athleten steuerten dann in ihren hart erkämpften Shirts zum Buffet. Darauf hatte ich mich schon sehr gefreut, zumindest war ich davon ausgegangen, dass das awesome wird. Leider war mir nach dem Rennen irgendwie immer noch übel, keine Chance an Essen zu denken. Damn, Essen für lau und mir wurde beim Geruch schon schlecht. Also wieder raus und mal Mama informieren – WICHTIG! Immerhin konnte mein „one and only fan/support” diesmal leider nicht dabei sein, da musste dann wenigstens unverzüglich berichtet werden. Und dann war ich schon wieder emotional. Ekelhaft.

Irgendwann war es dann aber auch genug Trubel und ich watschelte semi-fresh zum Bike-Check-Out. Leer im Kopf (das kommt öfter vor) und in den Beinen (das eher selten), aber unheimlich glücklich. Der Weg zum Rad musste gefühlt 40 Kilometer lang gewesen sein … mindestens. Ich nutzte die Zeit um über das Rennen nachzudenken, was aber nicht so recht funktionierte. Die einzigen Gedanken waren „Beim Run hätte ich schon mehr Gas geben können“ – „Mei, das schöne Buffet ohne mich!“ – „Eigentlich hat der Trisuit farblich nicht zum Rad gepasst.“ – „Ach schau, schon wieder ein Rettungshubschrauber.“

Beim Check-Out des Rades habe ich dann sogar noch einen Trainingsfreund vom Radcamp in Italien getroffen. Die Welt ist aber auch ein Dorf. Ok, die Triathlonwelt zumindest. Next Stop Dusche! Endlich im Hotelzimmer und duschen! Es war herrlich. Duschen und glücklich sein. Das Glücklichsein zog sich noch den restlichen Tag dahin, den ich im Schatten am Seeufer und dann finally beim Essen in Downtown Zell am See verbrachte. Es war zwar ein langsames Herantasten an feste Nahrung, die nicht von Peeroton stammt, aber es ging. Da wurde auch massiv zugeschlagen mit einer Frittatensuppe und einem Salat. Der Magen sollte sich erst in den nächsten Tagen wieder erholen. Witzig dabei: die ganze Zeit nach dem Rennen hatte ich das Finisher-Shirt noch gar nicht angezogen, damit es nicht schmutzig wird oder so. Erst am Abend, als es beim Essen kühl wurde, zog ich es drüber und prompt landete ein Kernöl-Fleck drauf. Der Magen war schuld – hätte ich mal Pommes gegessen oder was anderes Geiles. Aber nein.

Bla bla bla, man muss auch mal zum Ende kommen hier. Eines noch: ich habe jetzt zwar keine Statue aus Gold gewonnen oder generell gewonnen, aber dennoch muss man auch mal Danke sagen. Es gibt essentielle Parameter und Menschen, ohne die das Einhorn nicht angekommen wäre und somit auch nie sein Finisher-Shirt hätte versauen können. Mein Dank gilt also:

  • meiner Mama, die mich immer unterstützt, auch wenn sie sich hinsichtlich meines Sports stets an den Kopf greift und sich fragt: warum macht sie das?
  • meiner Kreditkarte aka. Hauptsponsor, die das Startgeld und die Unterkunft bezahlt hat
  • meinem Race-Support Christian, dessen Rad viel schöner ist als meines (ich gebe es zu)
  • Heli Wolf und dem Triangle Institut, weil er immer ein offenes Ohr und super Tipps für mich hat
  • dem Radclub Althofen, der sogar mir Vollpfeife das Radfahren beibringen konnte
  • meinen Mädels, die mittels Athlete-Tracker dabei waren
  • und besonderer Dank geht an all die Hater, die nicht an mich geglaubt haben! Danke für die Extra-Motivation!

Es ist an der Zeit den Renntag zu schließen (endlich! Danke an all jene, die bis hier gelesen und sich noch nicht Sudokus oder dem Qualitätsformat Daily Soap hingegeben haben). Ich ging davon aus, dass ich nach dem Rennen mal die Schnauze voll haben würde, ich war am nächsten Tag aber schon wieder am Rad und in den Laufschuhen und schmiedete Pläne für die nächsten Rennen – Aufrüsten inklusive. Natürlich werden viele Unkenrufe laut, die meinen „Was macht sie denn für ein Theater? Es war ja kein ganzer Ironman nur ein Ironman 70.3 und überhaupt, gewonnen hat sie auch nicht!“ Alles vollkommen korrekt.

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Bis zum Finishen des Rennens war es aber ein langer Weg. Ein Weg mit vielen Höhen und Tiefen, mit Euphorie und Selbstzweifeln, ein Weg der Schmerzen und Mühen, der Glücksgefühle und der Power. Im April 2014 wurde mir von Ärzten gesagt, dass ich wahrscheinlich trotz Rückenoperation nie wieder laufen können werde. Diesen Satz werde ich mit Sicherheit nie mehr vergessen. Aber ich hatte ein Ziel, nämlich wieder Rennen zu finishen, und wollte diese schlimme Prognose nicht wahr werden lassen. Und der Satz, den ich mit Sicherheit auch nie vergesse?

Don’t let anyone tell you you can’t!