Wofür braucht man beim Packen der Sachen für einen Ironman 70.3 am längsten?
Equipment? Werkzeug für das Rad? Rennbekleidung?
Nein, die Auswahl des Nagellackes gestaltete sich als beinahe abendfüllende Aktivität. Immerhin musste der Lack zum Rennoutfit, Teint und Gemüt passen und wer weiß schon, wie Letzteres am Rennwochenende sein würde?
Mit dem Schiff, äh Shiv war man schließlich doch am Weg zu den Eidgenossen. Dabei wäre ein Schiff auch keine schlechte Wahl gewesen, denn bei diesem Wetter mit sintflutartigen Regenfällen und Gewittern hätte ich ein Wasserfahrzeug auch gerne genommen. Die Fahrt in die schöne Schweiz zog sich und trotz meines für gewöhnlich sehr guten Zeitmanagements wurde es Freitagabend richtig knapp mit dem Check-In ins Hotel und der Athletenregistrierung. Als Maximaloptimist hatte ich ja allen Ernstes sogar noch eine kleine Radausfahrt für den Ankunftstag geplant. Das war wieder einer meiner lustigen Einfälle mit unmöglicher Realisierung.
Am nächsten Tag, also am Samstag, musste die Radstrecke aber dann besichtigt werden. Auch zu dieser Radstrecke gab es nämlich einige Schauergeschichten und ich wollte verhindern, dass mich im Rennen der Schlag trifft. Natürlich regnete es … wie aus Eimern. Und die Strecke war so ausgezeichnet markiert, dass ich keine Chance hatte, die gesamte Route zu finden. Den anderen Athleten ging es gleich: man traf sich unterwegs, keiner wusste, wohin man fahren musste und jedem fror der Hintern ab. Selbstverständlich hätte man die Strecke auch mit dem Auto abfahren bzw. suchen können, aber das war keine Option. Das wäre ja wie dabei zuzusehen, wie jemand die neuen High Heels von Manolo Blahnik für einen einträgt. Außerdem wäre ich so auch um die wichtige Erkenntnis umgefallen, dass die Bremsen auf den Carbonfelgen im strömenden Regen eher schlecht ziehen. Ich war als Schönwetter-Radler mit dem neuen Rad ja noch nie im Regen gefahren. Im Zweifel würde ich im Rennen das Rad eben nach unten tragen. Nicht, dass dem schönen Stück noch etwas passiert. Genau jenes schöne Gerät sah nach der Ausfahrt ob des tollen Wetters leider sehr schmutzig aus und so wurde es vor dem Bike Check-In noch mit Hingabe geputzt und adäquat beklebt. Langsam wurde ich beim Zurechtlegen der Wechselbeutel auch aufgeregt und als Extra-Motivation waren Startnummer und Badekappe auch wieder in Pink gehalten. Yeah!
Im Gegensatz zur Ironman 70.3 Premiere in Zell am See agierte ich beim Check-In schon beinahe routiniert. Ich wusste wohin und was genau zu tun war, alles funktionierte schnell und einwandfrei … laaaangweilig! Der einzige Unterschied: diesmal fühlte ich mich richtig cool, weil ich nun auch ein geiles Rad in die Wechselzone parken durfte. Also weiter zur Pasta-Party aka. „Athletes Dinner“. Diesmal hatte ich sogar richtig Hunger! Zum Glück – ich musste ja zusätzlich Kraft sammeln, um am Abend die Nägel zu lackieren und um am nächsten Tag mein Rad den Berg hinunterzutragen. Zum Drüberstreuen gab es beim Ausgang der Halle für jede Athletin auch noch eine Rose und einen Glückskäfer aus Schokolade. Sie waren ja so nett in der Schweiz. Da freut sich die Tussi!
Die Nägel waren fertig, die Sachen zurechtgelegt, damit in den frühen Morgenstunden keine Hektik aufkommt, und irgendwie fühlte ich mich komisch. Ständig musste ich niesen, die Augen brannten und mir war schwindlig (und nein, es waren nicht die Lackdämpfe der Maniküre). Wurde ich etwa plötzlich krank? Oder machte ich mir in die Hose und es äußerte sich nur auf wundersame Weise? Na toll, jetzt trainiert sie wie blöd, eiert extra in die Schweiz und kann dann krankheitsbedingt nicht starten? What??? Ich versuchte mich zu beruhigen und mich auszuschlafen, der Morgen sollte dann Gewissheit bringen. Jeder, der aber schon mal in dieser Situation war, weiß allerdings:
DAS FUNKTIONIERT NICHT. Rund alle 15 Minuten wachte ich schweißgebadet auf und stellte mir die Frage: bin ich krank (körperlich … nicht im Geiste … der Zug war ja längst abgefahren) oder nur nervös? So viel zum Thema „beruhigen und ausschlafen“. Mit dem Läuten des Weckers saß ich aufrecht im Bett und fühlte mich, wohl von Adrenalin und Aufregung gepusht, recht fit, Es wurde also teilgenommen, keine Frage! Beim Frühstück adaptiere ich noch schnell den Trisuit und schnitt das integrierte Bustier raus. Die Aktion „mit der Schere an der Rennbekleidung herumschnipseln, während man sein Müsli isst“ verwirrte alle Mitmenschen im Frühstücksraum, ich quittierte die verstörten Blicke aber mit einem Lächeln und dem Statement „Des passt schon so!“.
In der Wechselzone checkte ich nochmal alles durch, streichelte schnell das Rad, um es im Nieselregen bei Laune zu halten, bis es endlich losfahren durfte und machte mich auf den Weg Richtung Garderobe. Auf dem Weg dorthin erblickte ich auch die Weltmeisterin Daniela Ryf, die so wie das normale Fußvolk in der Schlange vor dem Dixiklo warten musste. Irgendwie sympathisch und beruhigend. So schnell wie möglich zog ich den Neoprenanzug an, es war wirklich kalt und ich wollte nicht schon vor dem Betreten des Wassers erfrieren. Das Wasser, meine Nerven, das Wasser hatte am Renntag ganze 14.5 Grad. Ich entschied mich gegen ein Aufwärmen im Wasser, machte am Ufer ein paar Übungen und fragte mich, ob ich nicht vollkommen gestört sei, jetzt in wenigen Minuten ins Wasser zu steigen. Da es sich um einen Wasserstart handelte, musste man einige Meter zur Startlinie schwimmen und dort bis zum Startschuss verweilen. Ich persönlich dachte, dass mir das Gesicht und die Füße abfallen würden. Der Kälteschmerz war fürchterlich. Wenn da noch ein kluger Außenstehender den Satz „Ihr habt doch eh einen Neo an!“ gebracht hätte, wären die 300 Damen des Feldes definitiv über diese Person hergefallen und hätten sie vermöbelt.
Startschuss – für den Kälteschmerz hatte ich jetzt keine Zeit mehr, denn es folgte das härteste Schwimmen, das ich bis dato erlebt hatte. Obwohl ich mich als Schwimm-Lulu eher am Ende des Feldes eingereiht hatte, glich das Schwimmen einem einzigen Kampf. Ich wurde permanent untergetaucht, mal von links, mal von rechts überschwommen, hatte auf den ersten 1000 Metern stets irgendeinen Ellbogen oder Fuß im Gesicht. Egal wie sehr ich versuchte, mir eine bessere Position zu erkämpfen, von irgendwo kam wieder eine Gliedmaße. Bei meinen Eishockeyspielen in den Play-Offs ging es gemäßigter zu … Auf den letzten 900 Metern wurde es endlich entspannter und ich hatte Zeit für sinnlose Gedanken wie „Ich fühle mich von meinem Neoprenanzug gemobbt, weil auf dem Ärmel ‚be first‘ zu lesen ist.“
Das Schwimmen war vorbei (ENDLICH), der Wechselbeutel für das Radfahren schnell gefunden und schon ging es weiter! Zu meiner Freude nieselte es weiterhin nur leicht und es keimte die Hoffnung auf, dass ich mein Rad wohl doch nicht den Berg hinunter tragen müsste. Die größte Challenge war es nun aber primär in die Pedale einzuklicken. Ich spürte meine eingefrorenen Füße immer noch nicht und egal was ich versuchte, die Füße wollten nicht so wie ich. Hier ließ ich definitiv Zeit liegen (von der optischen Blamage ganz zu schweigen). Aber was soll’s, endlich war ich unterwegs! Und endlich sah ich mal die gesamte Radstrecke. Sie war zugegeben anspruchsvoll, jedoch bewahrheiteten sich die Gruselgeschichten wieder mal nicht. Die Leute an der Strecke waren sensationell und bei den beiden zünftigen Anstiegen war die Straße von euphorischen Zuschauern so gesäumt, dass das Rad fast von alleine rauffuhr. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich die Kletterpassagen mochte … ich bin eine wunderliche Tante.
In der Ebene fürchtete ich mich ja permanent davor, gegen das Drafting-Verbot zu verstoßen und fragte mich immer „Oje, sind das jetzt wohl die 12 Meter Abstand!?“ Die Zeiten, in denen ich so langsam war, dass mich das nicht betroffen hatte, waren definitiv entspannter. Auf der ersten der beiden 45 Kilometer-Runden war das Wetter noch mäßig schön und so fuhr ich bei den Bergabpassagen entsprechend vorsichtig. In einer scharfen Kurve erlebte ich dann einen der Momente, den man sich nicht wünscht – aus der Distanz sah ich schon Rettungskräfte, im Gebüsch ein zerbeultes Zeitfahrrad und ich musste durch eine große Blutlache fahren. Ich kann nur hoffen, dass es dem Athleten wieder gut geht. Es war ein schauderhaftes Gefühl. Viel Zeit zum Nachdenken blieb einem aber nicht, immerhin wollte ich es gesund in die Wechselzone schaffen. Und ich schaffte es! Wie es sich gehört, bedankte ich mich in der Wechselzone mit einem Bussi bei meinem Rad, weil es ja schon sehr brav und vor allem ohne Defekt mit mir herumgefahren war. Der zweite Wechsel ging wieder sehr rasch über die Bühne, die Zeit für Lipgloss hatte ich natürlich wieder miteinberechnet. Tradition muss sein!
Obwohl ich mich sehr langsam fühlte und die Beine eher watschelten als liefen, war die Pace mit 04:40 Minuten/Kilometer für den Anfang mehr als ordentlich. Ich bezweifelte allerdings, dieses Tempo wirklich durchhalten zu können. Da kam die Labestation zur rechten Zeit und an dieser gab es, ja sensationell, warme Bouillon zu trinken! Bei diesem kalten, nassen Wetter war das mehr als ideal und womit lässt sich der Salzverlust besser ausgleichen?! Und heiter ging es weiter – zu essen wurden mir von super freundlichen Helfern Chips und Salzstangen angeboten. Das musste ich natürlich mit „Boah geil, danke! Da komm ich aber gerne wieder!“ kommentieren. Die Dame an der Labestation freute es und eine zweite Runde hatte ich ja tatsächlich noch zu laufen. Ich fragte mich die ganze Zeit, wann denn endlich der berüchtigte „Stairway to Heaven“, also die Treppenpassage, für die Rapperswil bekannt war, kommen sollte. Das Getöse von Lautsprechern und Zuschauern kündigte das Herzstück der Laufstrecke aber an. Geschätzt 1000 Leute hatten sich rund um die Treppen eingefunden und jeder Athlet wurde direkt mit dem Namen von Zuschauern und Platzsprecher nach oben gepeitscht. Das war unfassbar sensationell und hatte ich noch nie erlebt – da kann sich die eine oder andere Finishline noch eine Scheibe abschneiden! Die Treppen selbst empfand ich eher als lustige Abwechslung zum sonst flachen Kurs. Vielleicht war ich aber auch weniger beeindruckt, weil Treppenläufe zu meinen Eishockeyzeiten ein fixer Bestandteil des Trainings waren. Für irgendwas musste das ja gut sein – hab es wohl damals schon gewusst. Obwohl ich wegen meines Gesundheitszustands, den ich am Vorabend ja mehr als in Frage gestellt hatte, eigentlich nur gesund und happy ins Ziel kommen wollte, war ich auf der Laufstrecke recht schnell unterwegs, denn plötzlich war schon die Finishline vor mir. Einfach so – fast aus dem nichts! Und ich war wirklich, wirklich glücklich.
Ich hatte mir keine tolle Zeit erwartet und drehte mich mit mäßigem Gefühl zur angezeigten Zeit am Finisherbogen um. Dort stand dann aber 05:46:25!!! Über 12 Minuten schneller als zur Premiere in Zell am See! Damit hatte ich nicht gerechnet, war überwältigt und musste mal mit geballten Fäusten „Uhhhh, yeeeeah!!!“ schreien. Dann bekam ich auch noch die Medaille und schon ging auch wieder die peinliche Heulerei los. Ich war ja so ein Mädchen.
In der Halle, in der es am Vorabend das „Athletes Dinner“ gab, durfte ich mich auch nach dem Rennen wieder dem Essen hingeben. Und genau an diesem Platz hatte ich mich mit anderen Athleten am Tag zuvor noch darüber unterhalten, dass ich mir eventuell schon 2017 eine Teilnahme am Ironman Austria vorstellen könnte. Welch Schelm ich doch mit dem Statement war. Jetzt saß ich mit komplett leeren Beinen da, war beinahe zu müde um zu essen und ich merkte, wie jede Gliedmaße zu schmerzen begann. Ich dachte mir „Ironman Austria schon 2017… pfff … sowas kann einem aber auch nur VOR dem Rennen einfallen … Nope, lass mal.“